Museum der Brotkultur, Ulm: Markus Lüpertz und die Ähre

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Stater aus Metapont, 550-510 v. Chr., © Museum der Brotkultur

Anfang der 70er Jahre setzte sich Markus Lüpertz intensiv mit dem Motiv der Ähre auseinander. Diese Beschäftigung macht den Künstler über sein Renommee hinaus besonders interessant für ein Museum, das sich dem Thema "Brot" verschrieben hat.

Unter diesem nicht rein ästhetischen Aspekt ergibt sich nun ein recht ungewohnter Blick auf das Schaffen von Markus Lüpertz. Zumeist bemüht sich nämlich der Kunstbetrieb, Kunst (und nicht nur die von Lüpertz) fein säuberlich vom alltäglichen Leben fernzuhalten - aus übertriebener Zurückhaltung, so scheint es. Doch gebietet dies die Freiheit der Kunst keineswegs, sondern ihre innere Unabhängigkeit verlangt geradezu, den realen Bedingungen des Lebens immer wieder gegenübergestellt zu werden. Kaum ein Thema ist da wohl besser geeignet als das Grundnahrungsmittel Getreide, und hier wiederum kaum ein Motiv symbolträchtiger als das der Ähre. Plakat: Markus Lüpertz und die Ähre

Die Ausstellung im Museum der Brotkultur - dort zu sehen vom 23. April bis 31. August 2008 - konfrontiert die Kulturgeschichte des Ährenmotivs mit seinem Stellenwert im Œuvre von Markus Lüpertz, in seiner Komplexität gewiss kein leichtes Unterfangen. Die Möglichkeit von Missverständnissen ist gegeben, aber gerade darin liegt auch der Reiz. Die reichhaltige Sammlung des Museums erlaubt es, die Entwicklung dieses Motivs über weite Strecken nachzuzeichnen. In thematischer Auswahl werden Objekte, Grafiken und Gemälde vier Bereichen zugeordnet: In wissenschaftlichen Darstellungen wird die Ähre realistisch wiedergegeben, als Anschauungsmaterial und ohne darüber hinausreichende Bedeutung. Die Anfänge dieser Bildgattung gehen auf mittelalterliche Kräuterbücher zurück. Mit der Erfindung des Buchdrucks entwickelt sich die botanische Darstellung von Pflanzen, die fast unverändert in Schul-Lehrtafeln bis in unsere Tage fortlebt.

Einfache Ähren-Zeichen finden sich in einer unübersehbaren Fülle von Logos und Signets u.a. auf Wappen, Münzen, Medaillen und Marken. Sie können sowohl auf den Familiennamen verweisen oder auf den Münzherrn, auf historische Ereignisse oder auch auf Berufsverbände und Organisationen. Embleme des 16. bis 18. Jahrhunderts verbinden ein Bildzeichen mit einem Motto oder einer Devise, die den moralischen Sinn formelhaft ausdrückt. "Nachkommen" dieser Tradition sind seit dem späten 19. Jahrhundert politische und kommerzielle Plakate mit der Ähre als Emblem. In Mythos und Religion schließlich erhält die Ähre als Symbol eine tiefe, auf letzte Dinge verweisende Bedeutung. Beispiele aus Ägypten, Griechenland und der religiösen Kunst der Neuzeit zeigen, wie die archaische Vorstellung vom Leben spendenden Getreidekorn auch in der christlichen Kunst aufgenommen und weitergetragen wurde.

Martin Engelbrecht, Miraculosa Imago Jesu Christi (Kruzifix mit Ähre), Holzschnitt, koloriert, Augsburg, um 1750, Foto: Museum der Brotkultur, Ulm

Im Gegensatz dazu behauptet Markus Lüpertz die Unvereinnahmbarkeit der Kunst durch "von Außen" an sie herangetragene Bedeutungen. Die Ährenbilder von der Antike bis zur "Erfindung" der freien Kunst (die Formel vom "l'art pour l'art", von der "Kunst um der Kunst willen", stammt bekanntlich erst aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts) folgen jedoch ausschließlich solchen außerkünstlerischen Vorgaben.

Das Museum der Brotkultur zeigt nun in der Hauptausstellung dieses Jahres 30 Werke aus dem malerischen und zeichnerischen Schaffen von Markus Lüpertz in strenger Fokussierung auf das Motiv der Ähre. Die Bilder gehören zu der Werkphase der "Deutschen Motive", die den bleibenden Platz von Lüpertz in der Kunstgeschichte begründet haben. Die Ausstellung dokumentiert, wie der Künstler das zunächst isoliert stehende Motiv der Ähre Schritt für Schritt und mit großer formaler Stringenz in ein komplexes und hochdramatisches Themenfeld integriert, das von den archetypischen Gegensatzpaaren Brot und Wein sowie Krieg und Frieden bestimmt ist. Träger des bildkünstlerischen Geschehens sind neben der Ähre auch Ur-Motive wie Traube, Blitz, Bauer und Soldat, die Lüpertz mit dem ihm eigenen Formenwitz zu beeindruckenden, bewusst rätselhaften Bildern verarbeitet.

In der Gegenüberstellung dieser beiden unterschiedlichen Ausgangspositionen - Gesellschaft, Ökonomie, Religion etc. hier, das autonome künstlerische Subjekt dort - wird deutlich, dass sich im Endergebnis beides zu einem vielschichtig schimmernden Sinn-Konglomerat verdichtet, das die Gleichung "Ähre = Leben" in immer neuen labyrinthischen Wendungen interpretiert. Zusätzlich bemüht sich Lüpertz jedoch, das Motiv der Ähre nicht nur rätselhaft, sondern sogar ganz unverständlich darzustellen (Motto: "Verständliche Kunst ist schlechte Kunst", M.L.) und dem Alltag zu entreißen. Doch gerade dadurch scheint er die alte Formel zu neuem Leben zu erwecken.

Die Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit der Galerie Werner, Köln, die das Gesamtœuvre des Künstlers betreut, sowie mit Unterstützung zahlreicher Leihgeber aus dem In- und Ausland: Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen; Sammlung Kleihues, Dülmen-Rorup; Reinhard Onnasch Kunsthandel, Berlin; Galerie "Der Spiegel", Köln; Galerie Bodenseekreis in Salem (Landratsamt Bodenseekreis); Gemeentemuseum Den Haag und andere private Leihgeber.

Zur Ausstellung erscheint ein begleitender Katalog, 96 S., 103 Abbildungen.

Oliver Seifert

Willi Günthart, Plakat des Eidgenössischen Kriegsernährungsamtes, Farblithographie, Bern, 1943, © Museum der Brotkultur

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