Laudatio - Prof. Dr. Lothar Späth, Ministerpräsident a.D.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
lieber Herr Professor Leibinger,

 

Prof. Dr. Lothar Späth, Foto: Ekko von Schwichow, Berlin 1. Berthold Leibinger ist Christ aus tiefster Überzeugung. Wie für Immanuel Kant gilt auch für Berthold Leibinger, dass das moralische Gesetz in uns und der gestirnte Himmel über uns als Beweis für die Existenz Gottes dient und er deshalb daraus seine Lebensmaßstäbe ableitet.

 

2. Berthold Leibinger ist Unternehmer aus Leidenschaft, weil er Selbständigkeit und Selbstverantwortung liebt und Verantwortung für andere tragen möchte.

 

3. Berthold Leibinger ist Forscher, weil sein unruhiger Geist ihn immer wieder nach neuen Erkenntnissen suchen und ihn auch solche finden lässt.

 

4. Berthold Leibinger ist Politiker, weil er die Sache der Allgemeinheit zu seiner eigenen macht.

 

5. Berthold Leibinger ist Mäzen und Stifter, weil er es bei seiner Zuwendung zur Gesellschaft und Öffentlichkeit nicht bei wohlfeilen Ratschlagen und Ermahnungen belässt, sondern selbst handelnd oder fördernd eingreift und seinen eigenen Beitrag leistet
und

 

6. Berthold Leibinger ist Familienmensch, weil in der Familie die Kraftquelle liegt, aus der er schöpft, die er aber auch fürsorgend pflegt, und er ist gerne Familienoberhaupt einer so großartigen Familiengemeinschaft.

 

Berthold Leibinger ist also nach Meinung seiner Freunde, Partner und Wegbegleiter und auch durch viele Auszeichnungen und Ehrungen bezeugt, eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Nur er selbst würde mir jetzt natürlich gleich widersprechen, weil er das alles ganz selbstverständlich findet. Die Ehrung, die ihm heute zuteil wird, gilt seinem Mäzenatentum im Allgemeinen und einer Aufgabe, der er sich verpflichtet fühlt, im Besonderen. Aber dieses Mäzenatentum ist Teil seines Lebens- und Leistungsverständnisses. Darum diese Einleitung.

Berthold Leibinger ist Vorsitzender des Freundeskreises des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Und die Gründungs- und Entwicklungsgeschichte dieser Einrichtung passt in ganz besonderer Weise zu Berthold Leibinger und er zu ihr.

 

Die im Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e. V. zusammengeschlossenen Einrichtungen führen ihre Gründung meist auf private Impulse zurück. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Ausdruck bürgerlichen Selbstbewusstseins und Wissensdrangs sind sie entstanden und mittlerweile zum festen Bestandteil kulturellen Lebens geworden. Sie können noch heute als Vorbild mäzenatischer Stiftungen dienen. In Marbach am Neckar wurde 1895 der schwäbische Schillerverein gegründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Literatur- und Geistesgeschichte Schwabens in einem Spezialarchiv und einer Ausstellung zu zeigen. Das Schiller-Nationalmuseum wurde 1903 eröffnet. 1955 gründete die Deutsche Schillergesellschaft das Deutsche Literaturarchiv, dann, nach dem Zweiten Weltkrieg, weitete sich das Sammel- und Forschungsgebiet auf die neuere deutsche Literatur aus. Aufgabe des deutschen Literaturarchivs ist es, die handschriftlichen Quellen vor Zerstreuung zu bewahren und sie für die wissenschaftliche Auswertung zugänglich zu machen. Wer heute nach Marbach kommt, findet als Gegenstück des schlossähnlichen Museums das letztes Jahr fertig gestellte Literaturmuseum der Moderne und immer weiter wachsende wichtige Bestände und bald sichtbar die größte Sanierung und den Umbau des Altgebäudes - nicht zu vergessen das Collegienhaus mit 30 Appartements als Bleibe für Forscher und Studierende.

 

Und Berthold Leibinger ist Vorsitzender des Freundeskreises dieser großartigen Institution. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich der Mäzen, der die Bauprojekte vorantreibt, große Erwerbungen, wie etwa den Nachlass Erich Kästners, selbst großzügig unterstützt. Da ist der Förderer, der selbst die erste Spende gibt. Aber dann ist er der Antreiber, der seinen Kollegen und Freunden die Pläne und Ziele vorträgt. Meist startet er seine Charmeoffensive mit einer Begegnung im Museum mit der harmlosen Bezeichnung "Mitgliederversammlung" oder "Freundschaftstreffen", weckt durch Besichtigung neuer Erwerbungen oder Baupläne die Neugier und entwickelt sich dann zum begnadeten Bettler. "Anstiften zum Stiften" nennt er das. Und unter Vorweisung der privaten eingesammelten Mittel verlangt er dann - auch zu Recht - den Beitrag der öffentlichen Partner. Er hat sein eigenes PPP (public private partnership) entwickelt. Seine ästhetische Urteilskraft (vielleicht werden da die besonderen Gene des Vaters, Kunsthändler für Ostasiatika, sichtbar) und seine großen Erfahrungen in Baufragen helfen ihm. Zum politischen Akteur tritt der vorbildliche, aber wirtschaftlich denkende und kontrollierende Unternehmer. Deshalb sieht das Deutsche Literaturarchiv in Berthold Leibinger einen würdigen Nachfolger jenes großen Mäzens Kilian von Steiner, dem gemeinsam mit dem Württembergischen König die Gründung des Schiller-Nationalmuseums durch Werbung zahlreicher Förderer gelungen ist.

 

Nun müsste ich fortfahren, all die anderen wichtigen Leistungen des Mäzens Berthold Leibinger zu würdigen. Das ist in einer Rede gar nicht zu schaffen. Aber die Internationale Bachakademie, die uns mit Mitgliedern des Festivalensembles einen musikalischen Gratulations- und Dankesgruß entsandt hat, muss ich erwähnen. Prof. Helmuth Rilling hätte seine weltweit erfolgreiche Akademie ohne den Spender- und Förderkreis um Berthold Leibinger nicht aufbauen können. Die Staatsgalerie und die renovierte Stuttgarter Stiftskirche sind Zeugen und Beispiele - die Theodor-Heuss-Stiftung nicht minder.

 

Aber bevor Berthold Leibinger "jetzt reicht's" ruft, muss er noch ertragen, dass ich auf seine eigene Familien-Stiftung hinweise. Dort betätigt er sich vor allem mit der Förderung der Wissenschaft und ihres dringend benötigten Nachwuchses. Und eine Vielzahl sozialer Engagements wäre noch zu erwähnen.

 

Da schließt sich der Kreis und deutet auf den Menschen Berthold Leibinger hin, den Menschen und seine Wertvorstellungen: auf einen Familienunternehmer, der von kurzfristigem "Shareholder Value" nichts hält, wohl aber von harter Arbeit, Ideenreichtum und zukunftsträchtigen Technologien. Der im Auf und Ab der Trends in Ökonomie und Gesellschaft mit sicherer Hand und Gottvertrauen weltweit seine Ziele verfolgt. Ein Unternehmer, der sich Gedanken macht, warum eine moderne Genussgesellschaft den Arbeitsbegriff zum Schuften degradiert. Er stellt dem den Arbeitsbegriff aus Mayers Konversationslexikon von 1893 entgegen. Erst die Arbeit, welche sich immer neue Aufgaben setzt, ermöglicht eine nachhaltige Befriedigung. Der innovative Unternehmer sagt von sich selbst: "Mit schöpferischem Tun, ob technischer oder künstlerischer Art, ist für mich eine große Faszination verbunden. Und letztlich sind Technik und Kunst gar nicht so verschieden. Ihre besten Ergebnisse sind aus dem selben Stoff - dem Stoff, aus dem die Träume sind."

 

Ein Familienoberhaupt, das der nächsten Generation nicht nur ein materielles Erbe, sondern eine Lebensphilosophie mitgibt, dessen Werte er erprobt und für gut befunden hat. Dazu gehört die Freiheit des Christenmenschen, aber auch seine Verantwortung für seine Mitmenschen, die freiheitliche, wie auch die solidarische Gesellschaft. Vielleicht ist dieses Wertesystem das, was wir mit der Bezeichnung "konservativ" suchen. Es sind im Kern die biblischen Werte und Maßstäbe, die das Fundament unserer Gesellschaft tragen. Berthold Leibinger hat vor einem Jahr darüber in einem Vortrag an der Humboldt-Universität hier in Berlin philosophiert.

 

Alles Gründe, Berthold Leibinger mit der Maecenas-Ehrung 2007 zu versehen. Aber da ist noch etwas: Berthold Leibinger hat so viele Ehrungen des Staates und aus allen Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und sozialer Institutionen erhalten. Sie scheinen ihm nicht so wichtig zu sein. Aber unsere Gesellschaft hat einen Mangel an Vorbildern, vor allem, was den gesamten Lebensentwurf in einer globalisierten und anonymer werdenden Welt angeht. Und ich werde den Verdacht nicht los, dass auch die Sehnsucht: "Wir brauchen mehr solcher 'alten' Zukunftsmodelle, um die Probleme von morgen anzugehen" bei Ihrer Auswahl eine Rolle gespielt hat. Das gute Beispiel, das zur Nachahmung anregt, also - oder anders gesagt: Mit der Auswahl des zu Ehrenden, ehrt sich auch der Auslobende und wendet sich mahnend an die Gesellschaft. Und so gesehen, lieber Herr Leibinger, dient diese Ehrung auch Ihren Zielen.

 

Deshalb: Die Ehrung trifft den Richtigen, und ich gratuliere herzlich!

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