Kunsthalle Emden : KÜNSTLERKINDER von Runge bis Richter, von Dix bis Picasso

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Franz Gertsch, Maria und Benz, 1970, Dispersionsfarbe auf Halbleinen © Franz Gertsch

Wie sehen Künstler ihre eigenen Kinder? Mit „KÜNSTLERKINDER von Runge bis Richter, von Dix bis Picasso" widmet die Kunsthalle Emden erstmals eine umfassende Ausstellung dieser Frage.

Damit gewährt sie Einblick in ein ganz privates Thema, das von den Künstlern auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Zielen behandelt wird. Frank Schmidt, wissenschaftlicher Direktor der Kunsthalle, kuratiert die 125 Werke umfassende Schau, die noch bis zum 20. Januar 2012 zu sehen ist.

Künstler gelten häufig als Exhibitionisten, die sich in ihrer Kunst ausdrücken und exponieren und die sich in manchen Fällen auch in ihren Werken verströmen. Dem steht eine weitverbreitete Scheu gegenüber, allzu viel von sich preiszugeben. So sehr der Kunstbetrachter an privaten Details einer Künstlervita interessiert ist, so sehr versucht der Künstler das Werk als trennendes Element zwischen sich und dem Betrachter zu belassen. Eine Ausnahme bildet die Gruppe von Werken aus dem privaten Bereich, vornehmlich von Bildnissen von Familienmitgliedern. KÜNSTLERKINDER will jene Bildnisse beleuchten, in denen sich die Künstler mit ihrem eigenen Nachwuchs auseinandersetzen.

Zu allen Zeiten haben Künstler Kinder dargestellt: als Putten auf antiken Sarkophagen ebenso wie als Engel, Moses- oder Jesusknaben in Gemälden der Renaissance oder des Barock. Nicht selten werden die eigenen Kinder hierfür Modell gestanden haben. Mit Ausnahme von Adelsportraits finden sich eigenständige Bildnisse, welche die Dargestellten explizit benennen, vermehrt seit Aufklärung und Romantik. Von Jean-Jacques Rousseau stammt eine der ersten pädagogischen Schriften. Hier wie in den einfühlsamen Bildnissen eines Philipp Otto Runge dokumentiert sich ein wachsendes Interesse an der Persönlichkeit und Individualität von Kindern, die vornehmlich in ihrer häuslichen Umgebung dargestellt werden.August Macke, Porträt Walter Macke mit Häschen, 1910, Öl auf Leinwand, Dauerleihgabe aus Privatbesitz, Kunsthalle Emden

Der Entwicklung von Kinder- und Familienporträts ist bereits in einigen früheren Ausstellungen und Publikationen nachgegangen worden. Die Kunsthalle Emden will sich nun erstmals auf die eigenen Kinder der Künstler konzentrieren. Ausgehend von zwei Werken der Sammlung - Max Pechsteins „Hängematte I" und August Mackes Porträt „Walter Macke mit Häschen" - wird das Thema unter verschiedenen Gesichtspunkten und Fragestellungen beleuchtet. Welchen Stellenwert haben die Bildnisse im Œuvre der Künstler? Handelt es sich bei ihnen um eher private Zeugnisse eines Künstlerhaushaltes oder dokumentieren die Maler, Bildhauer und Fotografen vielmehr ihre gesellschaftliche Stellung und ihr Selbstverständnis als Künstler? Was sagen die Bildnisse über die Porträtierten aus und was über die Künstler?

Die Ausstellung setzt mit einigen ausgewählten Werken des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts ein, um ausführlicher die Entwicklung von den 1880er Jahren bis in die Gegenwart nachzuzeichnen. Bedeutende Beispiele finden sich insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, etwa von Lovis Corinth, Otto Dix, Conrad Felixmueller oder Pablo Picasso. Während der Nachkriegsabstraktion nimmt das Sujet naturgemäß ab, um mit dem Wiederaufleben der Figuration erneut zum Thema zu werden. Doch hat sich der Fokus merklich verändert. Wie Gerhard Richter oder Annelies Štrba ihre Kinder zeigen, befremdet auf den ersten Blick. Waren frühere Bildnisse nicht selten lieblich und berückend, vermitteln die Kinderbilder nun eher Momente der Verletzlichkeit und des Ausgeliefertseins.

Der gesellschaftliche Blick auf Kindheit und Jugend wird in den Bildnissen der KÜNSTLERKINDER durchbrochen von einer familiären Nähe zwischen Künstler und Modell. Aus dieser Dualität erwächst eine Spannung, die mit zur besonderen Ausstrahlung dieser Werke beiträgt. In den besten Bildnissen amalgamiert die individuelle Sicht auf die eigenen Kinder mit dem sozio-kulturellen Hintergrund der jeweiligen Periode zu eindringlichen und bemerkenswerten Gesellschafts- und Zeitbildern.

Die versammelten 125 Werke aus bedeutenden deutschen, europäischen und internationalen Museen und Sammlungen geben einen Einblick in ein bislang nur am Rande wahrgenommenes Thema. KÜNSTLERKINDER spannt einen Bogen von Philipp Otto Runge bis Pipilotti Rist und will so die Entwicklung des Motivs des Künstler-Kinderbildnisses durch mehrere Epochen nachvollziehen.Alice Neel, Hartley on the Motorcycle, 1966, Öl auf Leinwand © The Estate of Alice Neel

Die Reihe der rund 60 beteiligten Künstler erlaubt zudem einen Gang durch die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. In KÜNSTLERKINDER begegnen dem Besucher unter anderem: Max Beckmann, Marc Chagall, Lovis Corinth, Otto Dix, Marlene Dumas, Conrad Felixmüller, Franz Gertsch, K.H. Hödicke, Alexej Jawlensky, Alex Katz, Käthe Kollwitz, August Macke, Paula Modersohn-Becker, Arnulf Rainer, Pipilotti Rist, Max Pechstein, Pablo Picasso, Gerhard Richter, Philipp Otto Runge, Christian Schad. Arnold Schönberg, Annelies Štrba, Fritz von Uhde u.v.a.

Kunstvermittlung, insbesondere für Kinder und Jugendliche, ist nicht allein eine satzungsgemäße Aufgabe der Kunsthalle, sondern zugleich auch eine Leidenschaft des engagierten Teams, das immer wieder neue, innovative Lösungen entwickelt. In Vorbereitung dieser Ausstellung startete bereits vorab das interaktive Kunstprojekt „Kranstraßenkinder". Es besteht aus zwei Teilen. Der eine findet im Museum während der Ausstellung statt. Der andere startete schon eine Weile zuvor im städtischen Raum. Mit beiden Teilen greift die Kunstvermittlung das Thema der Ausstellung in abgewandelter Form auf:

„Was ist die wichtigste Erinnerung an Ihre Eltern?" Das ist die Impulsfrage für den Projektteil in der Kunsthalle. Die Ausstellungsbesucher können ihre Antworten in einer Audiokabine vor Ort auf Band sprechen. Die im Lauf der Zeit wachsende Zahl von Tonsequenzen wird in einer Installation im Museum abgespielt.

Der zweite Teil wendet sich mit der Frage „Wie könnten ideale Orte für (Ihre) Kinder in der Straße aussehen?" an die Bewohner der Emder Kranstraße und des umgebenden Stadtviertels. Hier werden gemeinsam ideale Orte für die „Kranstraßenkinder" entwickelt, zugleich auch die Installation für die spätere Audioaktion mit Erinnerungen der Besucher. Das Interesse der Kunstvermittler gilt dem schöpferischen Arbeiten. Die Aktionen sind eine Versuchsanordnung, um den künstlerischen Prozess für die Teilnehmer erfahrbar zu machen. Dazu gehört naturgemäß auch ein offenes Ende: Was scheitert? Was gelingt? Wie definieren sich Scheitern und Gelingen im schöpferischen Prozess? Die Teilnehmer werden es gemeinsam erleben.

Frank Schmidt / Ilka Erdwiens


Jeder Besucher erhält den Audioguide zur Ausstellung kostenlos, der eine Zusatz-Führung beinhaltet: Kindergartenkinder und Grundschüler erläutern ausgewählte Kunstwerke.
Zur Ausstellung erscheint außerdem ein umfangreicher Katalog als Hardcover mit 214 Seiten im Kehrer Verlag. Nahezu alle 125 Exponate sind farbig abgedruckt, dazu vier große umfassende Essays sowie zahlreiche Werktexte, Texte von Künstlern und Künstlerkindern. Der Preis an der Museumskasse beträgt 29 €.

 

AsKI KULTUR lebendig 2/2012

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