Kunsthalle Emden: Horizont Jawlensky. Auf den Spuren von van Gogh, Matisse, Gauguin

Kunsthalle Emden Logo

Alexej Jawlensky, Selbstbildnis, 1912, Museum Wiesbaden Dauerleihgabe der Landeshauptstadt WiesbadenIn zahlreichen Ausstellungen wird in diesem Jahr des Beginns des Ersten Weltkriegs gedacht. Diese einschneidende historische Katastrophe hatte nicht zuletzt in kultureller und kunsthistorischer Sicht vielfältige Auswirkungen auf eine ganze Epoche wie auf einzelne Künstlerschicksale.

Auch für Alexej von Jawlensky (1864–1941) markiert das Jahr 1914 einen großen Einschnitt: Als Ausländer mussten seine Lebensgefährtin Marianne von Werefkin und er München mit Ausbruch des Krieges umgehend verlassen. Die veränderten wirtschaftlichen und privaten Lebensverhältnisse in der Schweiz führten auch zu einem Wandel innerhalb seiner Kunst. Die Ausstellung Horizont Jawlensky konzentriert sich nun erstmals auf die rund 15 Jahre vor dieser Zäsur. Gezeigt wird die Genese seines Schaffens von den realistischen Anfängen in Russland bis hin zu den eigenständigen und für den Künstler typischen Arbeiten ab ca. 1910. Jawlenskys Gemälden sind Werke der Künstler gegenübergestellt, mit denen er sich in dieser Zeit intensiv befasst hat.

Aus Anlass seines 150. Geburtstags versammelt die Kunsthalle Emden neben rund 80 Werken des Russen Arbeiten u. a. von Wilhelm Leibl, Anders Zorn, Leo Putz, Lovis Corinth, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Edvard Munch, Maurice de Vlaminck, Henri Matisse sowie Gabriele Münter und Wassily Kandinsky – ein faszinierender Einblick in das Kunstgeschehen am Beginn des 20. Jahrhunderts.Vincent van Gogh, Allee bei Arles (Rand einer Landstraße),  Mitte Mai 1888, Greifswald, Pommersches Landesmuseum

Kunstwerke entstehen nicht in einem Vakuum: Mehr oder weniger deutlich offenbaren sie Bezüge zu Künstlern früherer Epochen wie auch zu Zeitgenossen. Bei bedeutenden Künstlern kann dabei nicht von geistigem Diebstahl gesprochen werden. Vielmehr greifen sie einzelne Aspekte der „Vorbilder" auf, wandeln sie ab und integrieren sie in ihr Werk. Nur in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Vergangenen kann es Fortschritt und Weiterentwicklung geben.

In den Jahren vor Kriegsausbruch lebte Jawlensky vor allem in München, wo die Schwabinger Wohnung von Marianne von Werefkin und ihm zum intellektuellen Zentrum der künstlerischen Avantgarde wurde. 1896 war der Künstler gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin aus St. Petersburg an die Isar gekommen. Dort ging er zunächst bei Anton Ažbe in die Lehre, bevor er für sich die Welt der Kunst eroberte – mit Reisen u.a. nach Italien (Venedig), mehrmals nach Frankreich (Bretagne, Provence, Paris) und an die Ostseeküste (Prerow). Igor Grabar – ein Zeitgenosse und Freund – berichtet, dass „Jawlensky in jungen Jahren immer wieder andere Maler zum Vorbild nahm" und „wie häufig er seine 'Götter' (...) wechselte". Ab etwa 1910 kulminierte all dieses Probieren, Studieren und Experimentieren in den farbmächtigen Arbeiten, die heute mit dem Namen Alexej von Jawlensky in der Regel assoziiert werden.

Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges endete die erfüllte Schwabinger Zeit des Künstlers im gesellschaftlich-sozialen Netzwerk um Marianne von Werefkin unerwartet. Die unfreiwillige Übersiedelung in die Schweiz bedeutete den größten biografischen Einschnitt in Jawlenskys Leben. Die regen Künstlerbegegnungen der Münchner Jahre spielten nun kaum mehr eine Rolle – sein Werk entwickelte sich fortan immanent ohne größere äußere Einflüsse.

Die Konfrontation mit Werken bedeutender deutscher und internationaler Künstler veranschaulicht die Entwicklung einer Künstlerpersönlichkeit, die sich gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch als Suchender zeigt. München mit seinem regen Kulturleben und seiner angesehenen Akademie bietet reichlich Anschauungsmaterial. Durch Hugo von Tschudis Ankäufe französischer Malerei für die Pinakothek und in verschiedenen Galerieausstellungen konnten zudem Originalwerke aktueller, vor allem französischer Kunst gesehen und diskutiert werden. 1908 gelang es dem Russen sogar, im Münchner Kunsthandel eine Landschaft des von ihm hochgeschätzten Vincent van Gogh zu erwerben (Die Straße in Auvers – Das Haus des Père Pilon, 1890), die er Jahre später aus finanziellen Gründen wieder verkaufen musste. Es betrübte ihn sehr, dass er 1914 dieses Bild – mit weiteren seiner Sammlung – bei seinem überhasteten Aufbruch ins Schweizer Exil im Atelier in der Giselastraße zurücklassen musste. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er: „Ich wollte unbedingt meinen van Gogh in der Schweiz haben. Und so schrieb ich Amiet nach Oschwand, ob er nicht nach München fahren könnte, um mir meinen van Gogh zu holen". Der Schweizer Maler Cuno Amiet kam diesem Wunsch noch 1914 nach.

Bereits früh stellte Jawlensky zudem im Pariser Salon aus und reiste auch wiederholt in die „Hauptstadt der Kunst". Manche hier gewonnenen Eindrücke finden erst Jahre später Eingang in sein eigenes Werk. Überhaupt ist es für seine Annäherung an das Werk eines Kollegen charakteristisch, dass er sich erst nach Abschluss einer intensiven Beschäftigung mit dem einen Künstler einem anderen zuwandte. Dem gestischen, expressiven van Gogh folgt eine Beruhigung seines eigenen Schaffens durch die Auseinandersetzung mit Cézanne. Und obwohl er bereits um 1905 Werke von Matisse studieren konnte, werden dessen kühne, ornamentale und flächige Abstraktionen erst rund vier Jahre später in seinem eigenen Werk reflektiert. Im Schaffen Jawlenskys ist eine Entwicklung zur Vereinfachung und Klärung von Formen und Komposition zu erkennen, die schließlich in die reduzierteren und eigenständigen Variationen ab 1914 mündet.

Edvard Munch, Mädchen mit rotem Hut, um 1903/05, Von der Heydt-Museum WuppertalFür die Kunsthalle Emden ist die Kooperation mit dem Museum Wiesbaden bei Horizont Jawlensky in mehrfacher Hinsicht glücklich. So war es eine noch von Henri Nannen initiierte Jawlensky-Retrospektive, die dem Museum 1989 in seinen jungen Jahren einen beachtlichen Publikumserfolg bescherte. Noch während seines Studiums hatte Nannen zudem die Gelegenheit, den damals bereits schwerkranken Maler in Wiesbaden zu besuchen: „Jawlensky habe ich noch als Student der Kunstgeschichte mit einem Brief von Gabriele Münter um das Jahr 1936 in Wiesbaden besucht. Ich fand einen schwerkranken, aber unendlich wachen Mann, die Arthritis hatte seine Hände nahezu erstarren lassen". Als Sammler gelang es Nannen zudem, insgesamt sieben Werke des Künstlers zu erwerben. Im Zuge der aktuellen Ausstellungsvorbereitungen wurden zwei dieser Werke maltechnologisch untersucht. Leider stellte es sich dabei heraus, dass diese im Werkverzeichnis aufgenommenen Werke nach heutigem Kenntnisstand nicht mehr Jawlensky zuzuordnen sind. Die wissenschaftliche Aufarbeitung und Überprüfung der eigenen Sammlung zählt ebenso zur Kernaufgabe eines Museums wie die Erarbeitung von Ausstellungen aus dem Kontext der Sammlung heraus. Die Ausstellung zu Alexej von Jawlensky und seinen „Göttern" macht anschaulich, wie in einer opulenten, Malerei und Farbe feiernden Schau auch diese Sammlungs- und museumsrelevanten Aspekte zum Tragen kommen können.

Frank Schmidt


Kunsthalle Emden

Horizont Jawlensky. Auf den Spuren von van Gogh, Matisse, Gauguin
21. Juni bis 19. Oktober 2014
Die Ausstellung steht unter der
Schirmherrschaft von Bundespräsident
Joachim Gauck.

BENEFIZAUKTION
Die Kunsthalle Emden plant für den
November 2014 eine Benefzauktion
voraussichtlich in Hannover.

AsKI KULTUR lebendig 1/2014

.

xxnoxx_zaehler