Künstler.Archiv. Neue Werke zu historischen Beständen - Ausstellung in der Akademie der Künste, Pariser Platz 4

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In den historischen Ausstellungshallen der Preußischen Akademie der Künste setzen sich neun Künstlerinnen und Künstler mit den Archiven der Akademie der Künste auseinander.


Ihre eigens für die Ausstellung „Künstler.Archiv“ konzipierten Werke (gefördert vom Hauptstadtkulturfonds und noch bis zum 28. August zu sehen) beziehen einen persönlichen Standpunkt zur Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Vom wissenschaftlichen Umgang mit Archiven abweichend, eröffnen die künstlerischen Konzepte neue und ungeahnte Perspektiven auf das kulturelle Erbe. Die originalen Archivalien, auf die sich die Künstler beziehen, sind in der Ausstellung gesondert zu sehen.

Das Archiv der Akademie der Künste ist ihr Gedächtnis. Mit über 800 Künstlerbeständen aus allen Kunstgattungen ist es das bedeutendste spartenübergreifende Archiv zur Kunst ab 1900 im deutschen Sprachraum. Seine Originale – Manuskripte, Entwürfe, Briefe, Dokumente, Tonaufzeichnungen, Film- und Fotoaufnahmen – sind nicht nur einzigartige historische Quellen, sondern bieten auch einen haptischen, sinnlichen Umgang mit dem, was vom abwesenden Künstler, seinem Werk und seiner Zeit geblieben ist.

Um der Komplexität und Vielfalt der einzelnen Archivbereiche gerecht zu werden, wurden konzeptuell arbeitende Künstler mit unterschiedlichen Ansätzen eingeladen. Künstler, deren Arbeit sich grundsätzlich mit dem Thema „Gedächtnis" beschäftigt, werfen Fragen nach Verlust und Abwesenheit, dem Anschein der Ewigkeit und der Unnahbarkeit von Archivbeständen auf. Andere treten in einen direkten Dialog mit den Archivalien bzw. deren Urhebern. Die Projekte öffnen neue Denkräume, zum Teil wird Vergessenes in Erinnerung gerufen und diskursiv fruchtbar gemacht.

Die künstlerischen Projekte


  • Ilya und Emilia Kabakov beschäftigen sich nach dem Verschwinden der Sowjetunion zunehmend mit kosmischen Fiktionen. So verbindet beispielsweise der „Palast der Projekte“ im Essener Zollverein die Welt von Kinderfantasien mit der realen Utopie des Kommunismus, der in den 1930er Jahren den Palast der Sowjets in Moskau projektierte. Für die Akademie der Künste entwerfen die Kabakovs unter dem Titel "Project for the Demonstration of Archive" einen spirituellen Raum, in dem die utopischen Entwürfe der expressionistischen Architekten um die Gläserne Kette (1919-1921) im „Licht der Ewigkeit“ präsentiert werden.

 

  • Miguel Rothschilds begehbarer Tempel „Experience Utopia“ ist eine Huldigung expressionistischer Phantasien und gleichzeitig eine liebevoll-ironische Umsetzung dieser Visionen in die heutige Zeit. Der Künstler überträgt das utopische Gedankengut aus dem Archiv auf einen expressionistisch anmutenden Konsumtempel, der aus begehrten, aber leeren Markenverpackungen von Paniermehl, Schoko-Eis oder Cornflakes aus dem Supermarkt besteht.

 

  • Carsten Nicolai ließ den Prototyp des Subharchords, eines legendären elektro-akustischen Instruments aus DDR-Produktion, der sich im E-Studio der Akademie der Künste befindet, restaurieren. Das Instrument steht im Zentrum seiner Installation „sub vision“ und erzeugt, über einen Sequenzer angesteuert, live hörbare Klänge. Gleichzeitig erhält dieser akustische Output des Gerätes eine visuelle Umsetzung, wobei sich Nicolai auf Interferenzmuster-Experimente von Werner Meyer-Eppler, Physiker und Theoretiker elektro-akustischer Klangerzeugung, stützt.

 

  • Eva-Maria Schön nimmt im ihrem Projekt „Bürochemie“ Bertolt Brecht unter die Lupe. Die Künstlerin entdeckte in einem Gesamtregister eine den ‚ganzen’ Brecht erfassende alphabetische Auflistung des Bestandsverzeichnisses, die die jeweiligen Textanfänge der Werke des Meisters verzeichnet. Diese nimmt sie als Basis ihrer Installation, die Kraft, Poesie, aber auch Absurdität des archivierten Brechts in den Vordergrund rückt. In der Brecht-Weigel Gedenkstätte, der letzten Wohnstätte des Dichters in der Berliner Chausseestraße, und in seinem Haus in Buckow konnte Eva-Maria Schön auch ein Teil von Brechts ‚konservierter’ Umgebung direkt erfahren. Entsprechende Gedanken zum Thema ‚Besitz’, nach einer Auflistung von 1939 in Brechts Arbeitsjournal unter dem Eintrag „Ich besitze“, lässt die Künstlerin in ein Video einfließen, mit der an den Besucher gestellten Frage: „Was besitzt Du?“

 

  • Jochen Gerz – Skeptiker des Wertes, überhaupt des Sinnes eines Archivs – suchte nach einem Weg, dessen scheinbar undurchdringliches Volumen aufzulösen. Unter dem Titel „Die Zeit der DDR“ lässt er im Zweistunden-Rhythmus und ohne Unterbrechung – während der Öffnungszeiten der Ausstellung – Texte zum Thema lesen, u.a. Briefe, Zeitungsartikel, Gedichte, Lieder oder auch administrative Korrespondenz. Alle Archivabteilungen sind beteiligt, Leser und Zuhörer sind auf ihre Weise Zeitzeugen. Die Textauswahl fügt sich zu einem Stundenbuch zusammen. Die Leser, darunter viele DDR-Bürger, wurden mit Unterstützung einiger Berliner Kulturinstitutionen eingeladen.

 

  • Christina Kubisch realisiert ihre Klang-Installation „Versuchsreihe. 103 Arten Beethoven zu singen“ im ehemaligen Atelier von Max Liebermann. Aus dem akustischen Archiv der Musik- und Theaterabteilung vermischt sie Aufnahmen verschiedenster Provenienz mit einer Testaufnahme von Hermann Scherchen über 24 Lautsprecher zu einem verbalen Konzert emotionaler Äußerungen, welches durch den Klang der jeweiligen Stimmen geprägt ist. In den historischen Hallen des Neubaus am Pariser Platz „ertönen die akustischen Spuren der Vergangenheit wie ein implantiertes Echo.“ (Kubisch)

 

  • Christian Boltanski regt in seiner Installation „Das Archiv von Maxim Vallentin“ eine gefühlsmäßige Begegnung mit dem 1904 in Berlin geborenen Theaterregisseur an. In einem kleinen, spärlich beleuchteten Raum werden die Wände mit faksimilierten Dokumenten aus seinem Nachlass ausgekleidet. Die Fotografien und Dokumente verwandeln sich in eine Lebenscollage, die konkrete Fakten und Gegebenheiten widerspiegelt, sich aber erst durch den Betrachter für eine Interpretation öffnet.

 

  • Hans Winkler spürt in seinem Projekt der Familiengeschichte von John Heartfield und Wieland Herzfelde nach. Seine „Held Saga“ führt uns in die teils belegte, teils fiktive Welt des Vaters und anarchistischen Schriftstellers Franz Held, der seine Kinder in einer Berghütte bei Salzburg zurückließ. Die Replik des Kinderhauses vom Heartfield-Grundstück in Waldsieversdorf bei Berlin, das an die österreichische Berghütte erinnert, in der die Familie lebte, konfrontiert uns in der Installation „Die Berghütte im Wald“ mit einem realen Element der fiktionalen Familiengeschichte.

 

AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 2/2005

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