Kleist-Museum, Frankfurt-Oder / Casa di Goethe, Rom: Auf den Knieen meines Herzens. Kleist trifft Goethe

Auf den Knieen meines Herzens. Kleist trifft Goethe, ISBN-10: 3930370247

Herr von Göthe
Siehe, das nenn‘ ich doch würdig,
fürwahr, sich im Alter beschäft‘gen!
Er zerlegt jetzt den Strahl, den seine Jugend sonst warf.
Heinrich von Kleist: Phöbus 4. und 5. Stück vom April/Mai 1808

Mir erregte dieser Dichter, bei dem reinsten Vorsatz einer aufrichtigen Teilnahme, immer Schauder und Abscheu, wie ein von der Natur schön intentionierter Körper, der von einer unheilbaren Krankheit ergriffen wäre.
Johann Wolfgang von Goethe: Tiecks Dramaturgische Blätter 1826/1833

Heinrich von Kleist ist einer der größten Autoren deutscher Sprache. Er gilt als Dichter des Umbruchs, als Wegbereiter der literarischen Moderne. Bis heute zählen die Erzählung „Michael Kohlhaas", das Lustspiel „Der zerbrochne Krug" und das Schauspiel „Prinz Friedrich von Homburg" zu den wirkungsmächtigsten Werken des 19. Jahrhunderts.

Johann Wolfgang von Goethe: Bühnenbildentwurf vermutlich zu Kleists zerbrochnem Krug. Bleistift, Feder in Braun und Rötel, 1808, Klassik Stiftung Weimar, Foto: dito

Das Kleist-Museum in Frankfurt (Oder), eine Literaturinstitution von nationalem Rang und internationaler Ausstrahlung, ist die einzige Kleist gewidmete Einrichtung weltweit. In Kleists Geburtsstadt werden Dokumente und Objekte gesammelt, erschlossen und präsentiert, die sich auf Leben, Werk und Wirkung sowie den kulturellen Kontext Heinrich von Kleists beziehen. Derzeit sind zahlreiche Aktivitäten des Hauses auf die Vorbereitung des Kleist-Jahres 2011 anlässlich seines 200. Todestages gerichtet. Im Vorfeld dieses nationalen Gedenkjahres möchte das Museum auch mit einer Ausstellung in Rom auf die Modernität von Leben und Werk Heinrich von Kleists hinweisen.

Die Ausstellung „Auf den Knieen meines Herzens. Kleist trifft Goethe" lässt das komplexe Bild des Dichters in seiner Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit vor dem Hintergrund der zentralen Gestalt der deutschen Literatur, Johann Wolfgang von Goethe, entstehen. Die Begegnung zwischen Goethe und Kleist, die zu beider Lebzeiten niemals zustande kam, wird mit dieser Exposition in unsere heutige Zeit verlegt. Mit dem Blick aus dem 21. Jahrhundert wird das konfliktreiche Verhältnis der beiden Dichter wissenschaftlich aufgearbeitet, ohne - wie noch immer üblich - Partei für einen der Protagonisten zu ergreifen.

Das Aufeinandertreffen von Kleist und Goethe findet in den Räumen statt, die Goethe während seines Italienaufenthalts (1786-1788) als Wohnung dienten. Schon der Ort beschreibt einen wesentlichen Kontrast zwischen Kleist und Goethe: Rom und die römische Antike bzw. die klassizistische Vorstellung davon waren bestimmende geographische und künstlerische Bezugspunkte Goethes; Kleist kam nur bis Varese und rieb sich sehr spannungsvoll an der Antikenauffassung des Weimarers.

Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Eigenhändiges Manuskript, S. 5. Nachlaß Ludwig Tieck. Handschriftenabteilung, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Foto: dito

Der Authentizität des Ortes begegnet die Ausstellung auf zweierlei Art. Sie zeigt authentische, auratische Exponate, die jedoch in einer außergewöhnlichen, futuristisch anmutenden Ausstellungsarchitektur präsentiert werden. Eine „Skulptur der Wege" ist die räumliche Übersetzung der Begegnung der beiden Dichter. Dabei wird die Gestaltung des unsteten, labyrinthartig verlaufenden Lebens Kleists in die streng gereihten Zimmer der Goetheschen Wohnung gesetzt. Die Skulptur, die Räume schafft oder begrenzt, Wege verbaut oder suchen lässt, trifft auf ein geordnetes, festes und mächtiges System: Kleist trifft Goethe.

Der erste Teil der Ausstellung folgt dem Leben Kleists und stellt vor allem die Unterschiede zum Leben Goethes heraus: die adlige Herkunft, die frühe Prägung im Militär, der nur halbherzige Versuch, in den Staatsdienst zu treten, das innovative Projekt der ersten Berliner Tageszeitung „Berliner Abendblätter".

Der zweite Teil der Ausstellung fokussiert die geistige Begegnung beider: Persönlich haben sie sich niemals gesehen, doch trafen sie im Jahr 1808 bei Goethes Inszenierung des Kleistschen Lustspiels „Der zerbrochne Krug" aufeinander. Sowohl das einzig erhaltene Manuskript des Stückes als auch der originale Theaterzettel werden zu sehen sein und vor allem auch ein Bühnenbildentwurf Goethes, den er aller Wahrscheinlichkeit nach für diese Inszenierung zeichnete. Den eklatanten Misserfolg der Aufführung legte Kleist allein Goethe zur Last und reagierte u.a. mit bissigen Epigrammen nach Art der Xenien in seiner Zeitschrift „Phöbus. Ein Journal für die Kunst". Goethe fand noch 18 Jahre danach nur ablehnende, stark emotionale Worte für Kleist.

Das Verhältnis zwischen Goethe und Kleist wurde schnell als Kampf des Jüngeren gegen den Älteren und damit als konfliktreiche Generationsablösung in der Literaturgeschichte interpretiert. Indem die Ausstellung Dokumente und Fakten der Begegnung sprechen lässt, möchte sie einen vorurteilslosen Blick auf das komplexe Verhältnis beider Dichter ermöglichen.

Barbara Gribnitz


Auf den Knieen meines Herzens. Kleist trifft Goethe
7.10.10 bis 16.01.11
Veranstaltungsort
Casa di Goethe, Rom
Öffnungszeiten
Täglich von 10.00-18.00. Einlass bis 17.30 Uhr. Montags geschlossen.
www.casadigoethe.it
Den Katalog "Auf den Knieen meines Herzens. Kleist trifft Goethe" hg. von U. Bongaerts und W. de Bruyn mit Beiträgen von Viviana Chilese, Matteo Galli, Barbara Gribnitz, Stefania Sbarra, Katharina Schüppel können Sie hier über unseren AsKI-Shop beziehen.

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