Jubiläum und neuer Start auf der Marbacher Schillerhöhe

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Erster Spatenstich für das Literaturmuseum der Moderne, © Foto: Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv, Marbach

Seit jeher ist im Marbacher Jahresverlauf der 10. November ein besonderes Datum: Der Geburtstag Friedrich Schillers.

Als der 1895 gegründete Schwäbische Schillerverein sein erstes großes Ziel erreicht hatte und das Schiller-Museum und -archiv 1903 eröffnen konnte, wählte König Wilhelm II. von Württemberg Schillers Geburtstag für seinen feierlichen ersten Besuch. Von den drei Gründervätern, dem Marbacher Stadtschultheißen Traugott Haffner, dem großen Organisator und Mäzen Kilian von Steiner und dem Stuttgarter Germanisten Otto Güntter, konnte ihn nur Güntter, der nachmalige Direktor des Hauses, begrüßen - die beiden andern waren wenige Monate zuvor verstorben.

Das Schillermuseum und -archiv war zugleich Ergebnis und Keim einer bewegten Entwicklung, die bis heute anhält. Aus der Marbacher Schillerverehrung des 19. Jahrhunderts hervorgegangen, barg das neue Haus auf der Schillerhöhe von Anfang an nicht nur ein Literaturmuseum, sondern auch ein Literaturarchiv, hatte also Bildung und Forschung zum Ziel; und es war von Anfang an nicht allein Friedrich Schiller gewidmet, sondern der Literatur und Geistesgeschichte Südwestdeutschlands insgesamt. So hat am 10. November 1903 eine Institution ihre Pforten geöffnet, die sich schnell Rang und Ansehen im Kreis der Bibliotheken und Archive, der Museen und Gedenkstätten verschaffen sollte - größtenteils mäzenatisch finanziert und von einem Bürgerverein getragen.

Unter der Leitung von Otto Güntter wurden die Sammlungen konsequent und mit großer Energie ausgebaut, das schlossartige Gebäude des Museums Anfang der 30er Jahre vergrößert und erste Schritte über die württembergische Literatur hinaus getan. Entscheidend in dieser Hinsicht war die Übergabe des Cotta'schen Verlagsarchives im Jahr 1952 an den damaligen Direktor Erwin Ackerknecht. Der Trägerverein, seit 1946 umbenannt in Deutsche Schillergesellschaft, beschloss 1955 auf Anregung des neuen Direktors Bernhard Zeller und des Vereinsvorsitzenden Wilhelm Hoffmann und mit Unterstützung der Bundes- und der Landesregierung, das Schiller-Nationalmuseum (dies der Name seit 1921) zum Deutschen Literaturarchiv auszubauen. Der seither geltende Doppelname Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv zeigt an, dass man die Doppelaufgabe, der literarischen Bildung wie der literaturwissenschaftlichen Forschung zu dienen, beibehalten wollte. In der dreißigjährigen Amtszeit von Bernhard Zeller wurden beide Seiten dieser Doppelfunktion kräftig ausgebaut und weiterentwickelt, auf der Museumsseite durch die Schöpfung der beispielhaften Marbacher Literaturausstellungen und der berühmt gewordenen Katalog- und Schriftenreihen, auf der Archivseite durch den Nachdruck, der nun auf die Literatur der Moderne gelegt wurde, die wie kaum in einer anderen Epoche mit der Geschichte ihrer Zeit verflochten ist durch Kriege, Diktaturen, Fluchtbewegungen und Emigration, durch die Teilung Deutschlands, durch Globalisierung und Mobilität. Die Sammlungen in Handschriftenabteilung, Bibliothek und Bildabteilung wuchsen rasant und mit ihnen die Aufgaben der Erschließung und Benutzung. So entstand neben dem optisch nach wie vor dominanten Museumsgebäude bis 1973 der bemerkenswert stilvolle Bau des Literaturarchivs. Modell des Literaturmuseums der Moderne, © Foto: Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv, Marbach

Was man damals für einen Abschluss halten konnte, setzte neue Dynamik in Gang. Noch in den letzten Jahren von Bernhard Zellers Amtszeit wurden die ersten Schritte für einen Erweiterungsbau des Literaturarchivs unternommen, der dann im folgenden Jahrzehnt bis 1993 entstand und das Raumvolumen des Archivs verdoppelte, indem er neue Funktionsräume und vor allem große Magazinflächen hinzufügte. Die Investitionskosten teilten sich Bundes- und Landesregierung je zur Hälfte, wie schon beim ersten Bau des Literaturarchivs (damals mit einem namhaften Beitrag der VW-Stiftung) und einer Magazinerweiterung, die 1980 vorgenommen worden war. Dagegen ist das 1992 in Betrieb genommene Collegienhaus fast ganz mäzenatisch finanziert worden. Es ist und bleibt indessen Grundlage der Marbacher Arbeit, dass Museum und Archiv, Bildung und Forschung innerhalb der einheitlichen Institution Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv möglichst im Gleichgewicht stehen. Traditionell überwiegen aber bei den ständigen Ausstellungen des Museums die Themen der klassischen Zeit und des 19. Jahrhunderts. Im Archiv ist es umgekehrt: Die Sammlungen - über 1.100 Schriftstellernachlässe, Archive literarischer Verlage und Zeitschriften, Gelehrtennachlässe stammen zu 80 Prozent aus der literarischen Moderne. Ihr galt bisher im Schiller-Nationalmuseum nur eine kleine ständige Ausstellung „Das zwanzigste Jahrhundert". 

Um das Gleichgewicht herzustellen und das einzige Literaturmuseum, das nicht nur einem Autor gewidmet ist, sondern ganzen Abschnitten der Literaturgeschichte, an die Gegenwart heranzuführen, wird nun ein zweites Museumsgebäude, das Literaturmuseum der Moderne, gebaut. Es ist nach einem umfangreichen Architektenwettbewerb dem Büro Chipperfield in London/Berlin anvertraut worden. Wieder teilen sich Bund und Land die Finanzierung.An Schillers Geburtstag im Jahre 2005 soll es eröffnet werden. Es wird ständige Ausstellungen zur Literatur der Moderne und Räume für Wechselausstellungen umfassen, so dass im Altbau des Schiller-Nationalmuseums mehr Platz für die Darstellung der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts verfügbar wird. Beide Gebäude werden durch einen Gang miteinander verbunden, aus dem man Einblicke in das unterirdische Magazin des Archivs gewinnt. Erster Spatenstich für das „Literaturmuseum der Moderne"

Bundespräsident Rau hält die Marbacher Schillerrede 2003 am 244. Geburtstag des Dichters, © Foto: Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv, Marbach

An Schillers 244. Geburtstag, am 10. November 2003, kam Bundespräsident Rau nach Marbach, um die in 5 Jahren zur Tradition gewordene Marbacher Schillerrede zu halten und anschließend den ersten Spatenstich für das Literaturmuseum der Moderne vorzunehmen. Dies war der Höhepunkt einer Veranstaltungsfolge, in welcher der beiden vor 100 Jahren verstorbenen Gründungsväter Haffner und Steiner gedacht und in einer Kabinettausstellung das einmalige Architekturensemble, das auf der Marbacher Schillerhöhe entstanden ist und entsteht, in seiner Entwicklung vorgestellt wurde. An Schillers Geburtstag blieb der Bundespräsident noch beim Blumenwerfen der Marbacher Schulkinder auf das Denkmal ihres großen Mitbürgers, eine Übung, an die sich Generationen von Marbachern zu erinnern pflegen. Wie jedes Jahr gab es in der Marbacher Schillerwoche ein reiches Programm. 

Prof. Dr. Ulrich Ott
Geschäftsführer und Direktor des Schiller-Nationalmuseums
und Deutschen Literaturarchivs

 

AsKI KULTURBERICHTE 3/2003

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