JUBILÄEN im AsKI : Frankfurter Goethe-Haus / Freies Deutsches Hochstift - Namenlose Empfindung. Jean Paul und Goethe im Widerspruch

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 Jean Pauls nachgelassene „Anrede an Goethe“ (1805) aus dem Konvolut der „Ästhetischen Untersuchungen“. © Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Ausstellung zum 250. Geburtstag von Jean Paul

Jean Pauls 250. Geburtstag wird deutschlandweit mit einer großen Zahl an Veranstaltungen und Publikationen begangen, von denen 250 das vom Verein Jean Paul 2013 e.V. herausgegebene Programm verzeichnet.

Diverse Ausstellungen beleuchten Leben und Werk des fränkischen Dichters. So beschäftigt sich das Deutsche Literaturarchiv Marbach noch bis zum 15. September 2013 ausgehend von Jean Paul mit „Zettelkästen. Maschinen der Phantasie“, die Staatsbibliothek Bamberg zeigt vom 29. April bis 13. Juli 2013 „Autographen, bibliophile Drucke, Illustrationen“ und im Max-Liebermann-Haus (Berlin) wird vom 11. Oktober bis 30. Dezember 2013 die große Ausstellung „Dintenuniversum. Jean Paul und die Moderne“ zu sehen sein.

Das Frankfurter Goethe-Haus – Freie Deutsche Hochstift widmet sich vom 28. August bis 13. Oktober 2013 einem scheinbar kleinen Thema, das jedoch bemerkenswerte Einblicke in das Selbstverständnis, die Krisen, Sehnsüchte und politischen Strategien der klassisch-romantischen Literaturepoche zulässt. Es geht um das schwierige Verhältnis zwischen Jean Paul und Goethe, das bislang noch nie im Rahmen einer Ausstellung beleuchtet wurde. Beide Dichter haben sich zeitlebens immer wieder aufeinander bezogen, mit einer Nachdrücklichkeit, die deutlich macht, dass sie sich gegenseitig Fixpunkte der ästhetischen und moralischen Standortbestimmung waren – im Positiven wie im Negativen.

Vor allem Jean Paul ließ keine Gelegenheit aus, sich in seinen Werken, Briefen und Aufzeichnungen mit dem ebenso geliebten wie gehassten Weimarer Idol auseinanderzusetzen. Ständig schwankte er zwischen bedingungsloser Gefolgschaft und trotziger Selbstbehauptung, so dass sich Worte der größten Bewunderung mit vernichtender Kritik und beißenden Invektiven abwechseln. Häufig steht beides in unmittelbarer Nachbarschaft. Goethe hingegen versuchte, den höchst erfolgreichen Konkurrenten wo es ging zu ignorieren. Wo dies nicht möglich war, reagierte er abwechselnd mit gönnerhafter Herablassung oder aber Gehässigkeiten, die denen Jean Pauls in keiner Weise nachstanden – unter bestimmten kunstpolitischen Voraussetzungen aber auch mit emphatischer Zustimmung.

Im Zentrum der Konfrontation der beiden Geister stehen wechselseitige Anschuldigungen: einerseits Goethes Kritik an Jean Pauls formaler Halt- und Zuchtlosigkeit und andererseits Jean Pauls Kritik an Goethes kalter und moralferner Formstrenge. Dass es hier immer auch um eine Konfrontation „klassischer“ und „romantischer“ Formprinzipien geht, ist evident, wobei die Kontrahenten zuweilen durchaus die Seiten wechseln konnten.Zweiter Brief Jean Pauls an Goethe vom 4. Juni 1795. © Freies Deutsches Hochstift

Hinzu kamen Idiosynkrasien hinsichtlich der Persönlichkeit und Selbstdarstellung des jeweils anderen, die durch das intellektuelle Umfeld noch verstärkt wurden. Doch wie gesagt: Die Ablehnung konnte jederzeit in Faszination und das irritierende Gefühl einer untergründigen Geistesverwandtschaft umschlagen. Jean Paul verfolgte der Konflikt bis in seine Träume. So notierte er im Juli 1816 (das Blatt wird in der Ausstellung zu sehen sein): „Mir träumte, ich wäre lange mit Göthe als Freund zusammen gewesen. Ich erwachte; darauf schlief ich wieder ein und kam zu Napoleon, ohne ihm die rechte Ehrfurcht zu bezeugen, ich: ‚vergeben Sie diese Vertraulichkeit (worauf ich auch wieder dieses Wort zu lindern strebte), ich hatte vorhin so lange von Ihnen geträumt’ “.

Dieses komplizierte Verhältnis von Attraktion und Repulsion zeichnet die Ausstellung in 20 chronologisch geordneten Stationen nach. Im Zentrum stehen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ausschließlich Originalhandschriften der beiden Kontrahenten. Sie erzählen Geschichten, die von ästhetischen Einsichten und persönlichen Empfindlichkeiten handeln, die zugleich aber auch in die Verfahrensweisen Einblick geben, mit denen die Autoren die Berührungen mit dem jeweils anderen bearbeiteten. Das erste Exponat ist etwa ein Exzerpt des 17-jährigen Jean Paul aus einer Literaturzeitschrift, die ihrerseits eine Neuerscheinung rezensiert. Dort heißt es über Goethe: „Wer, der Göthe’s Handschrift sah, bückt sich nicht tief vor dem tötenden und belebenden unerschöpflichen Quellgeist, der daraus dem Leser entgegenwallt?“ Das Tötende und Belebende im Umgang mit Goethe und seinen Werken sollte Jean Paul sein Leben lang begleiten. Und auch das Motiv der Handschrift zieht sich durch beider Leben.

So schrieb Jean Paul zu Beginn seiner Karriere zwei ihm sehr wichtige (und reichlich abgründige) Briefe an Goethe, die von diesem zwar nicht beantwortet, in einer späteren Phase seines Lebens jedoch als wertvolle Autographen sorgfältig auf Karton aufgezogen und beglaubigt wurden.

Jean Pauls unerhörte Mitteilungen an Goethe gipfelten 1805 in seiner nachgelassenen „Anrede an Goethe“, eine der schönsten (und traurigsten) Liebeserklärungen eines Dichters an einen Kollegen überhaupt. Dort heißt es: „Göthe, gäb‘ es einen Wunsch der Erde: ich würde dir ihn wünschen. Aber du brauchst nichts als dich – darum sei du dir gewünscht [...]“. In der Ausstellung ist die wilde Handschrift im Konvolut der „Ästhetischen Untersuchungen“ zu sehen, aber auch ein Druck aus dem Jahr 1827, der sich in Goethes Nachlass erhalten hat und deutlich macht, dass Goethe die an ihn adressierte, jedoch rein private Aufzeichnung durchaus zur Kenntnis genommen hat.

Noch nie wurde bei einer Jean Paul-Ausstellung konsequent von den Handschriften ausgegangen. Der Großteil der Materialien stammt aus den Nachlässen der beiden Dichter in der Staatsbibliothek zu Berlin und im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar. Fast alle Exponate sind erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen. Andere Stücke waren bis jetzt auch der Forschung gänzlich unbekannt, so etwa das Gästebuch eines Gasthofes in der Fränkischen Schweiz, das einen rätselhaften, undatierten Doppeleintrag aufweist: Unter dem eitel-verschnörkelten Eintrag „Geheimer Rath von Goethe aus Weimar“ (der deutlich nicht von Goethes Hand ist) findet sich klein und bescheiden mit derselben Tinte „Jean Paul Fr. Richter aus Baireuth“. Hat Jean Paul die gemeinsame Übernachtung fingiert, um auf diese Weise den fernen Weimarer Klassiker gegen dessen Willen an einen gemeinsamen Tisch zu zitieren? Oder hat einer seiner Freunde, der den Konflikt kannte und dessen Schrift beherrschte, beide Einträge gefälscht? Auch solche Rätsel, die sich beschreiben, aber nicht lösen lassen, werden zu sehen sein.

Kuratiert wird die Ausstellung von der Handschriftenabteilung des Freien Deutschen Hochstifts sowie Helmut Pfotenhauer von der Universität Würzburg, Herausgeber der Historisch-kritischen Gesamtausgabe und Verfasser der großen Jean-Paul-Biographie zum Jubiläumsjahr („Jean Paul. Das Leben als Schreiben“).

Konrad Heumann


Namenlose Empfindung. Jean Paul und Goethe im Widerspruch
Frankfurter Goethe-Haus – Freies Deutsches Hochstift
28. August bis 13. Oktober 2013
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Beiträgen von Konrad Heumann, Helmut Pfotenhauer und Bettina Zimmermann

 

AsKI KULTUR lebendig 1/2013

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