Internationales Symposion der Gesellschaft für deutsche Sprache in St. Petersburg

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von links: Prof. Dr. Ludmilla Grischaewa (Woronesch), Lilia Prochorowa (Omsk), Dr. Swetlana Massina (Saratow), Dr. Karin M. Eichhoff-Cyris (GfdS Wiesbaden) Natalia Rodina (Polargebiet), Natalia Rukawischnikowa (Ural), Elenea Filipowa (Moskau), Viktor Nekrassow (St. Petersburg), Dr. Lutz Kuntzsch (GfdS Wiesbaden)

„Das Deutsche lernen wir, weil wir es lieben." Deutsch-russische Kulturbeziehungen - Die deutsche Sprache in Russland

Die Stadt St. Petersburg begeht in diesem Jahr ihr 300-jähriges Jubiläum. Über die gesamte Zeit war ihre Geschichte mit dem Deutschen auf vielen Gebieten (Kirchen, Schulen, Theater, Verlage und Akademien) verbunden. Das hat sich heute sicher etwas verändert, aber die 5-Millionen-Metropole an der Newa liegt in dem Land, wo gegenwärtig die meisten Menschen weltweit Deutsch als Fremdsprache lernen und gut beherrschen.

Zu einer Positionsbestimmung der deutschen Sprache in der Gegenwart war deshalb das Symposion vom 15. bis 17. September 2003 aufgerufen, in St. Petersburg ausgerichtet von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS). Es wurde gefördert von der Marga und Kurt Möllgaard-Stiftung (Stifterverband für die deutsche Wissenschaft e. V.) und von Dr. Christina Weiss, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Angereist waren 20 Gäste aus Deutschland, darunter die vier Hauptvorstandsmitglieder Prof. Rudolf Hoberg, Dr. Dieter Betz, Prof. Armin Burkhardt und Prof. Alfred Warner sowie die Geschäftsführerin der GfdS, Dr. Karin M. Eichhoff-Cyrus.

Unter den sehr zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Russischen Föderation wurden besonders herzlich die Zweigvorsitzenden der GfdS aus Apatity (Polargebiet), Moskau, Omsk (Sibirien), Saratow, Tscheljabinsk (Ural) und Woronesch sowie aus dem gastgebenden St. Petersburg begrüßt. Es ist wohl mehr als eine faktische Aussage, dass die Teilnehmerin mit der weitesten Anreise fast 55 Stunden im Zug reiste, eine andere 700 km (ebenfalls in einer Richtung) zurücklegte, um einen Tag am Symposion teilzunehmen. Hierbei ist die Begeisterung für das Deutsche zu spüren; viele haben ihre soliden Kenntnisse aus Büchern und sind nun glücklich, „Deutsche zum Anfassen", also zur Fach- und Alltagskommunikation, vor sich zu haben.

Die Veranstaltungsorte waren bewusst gewählt: Während die Zentrale Kinderbibliothek seit vielen Jahren ein Zentrum für den Umgang mit Sprachen darstellt, kann das russisch-deutsche Begegnungszentrum Petrikirche auf zehn Jahre erfolgreicher Arbeit zurückblicken.

Schnell wurde das Hauptanliegen des Symposions angesprochen: Welche Rolle kommt der deutschen Sprache heute in St. Petersburg und im großen Russland zu?

Reinhart Kraus, Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in St. Petersburg, schilderte im Grußwort sein individuelles Verhältnis zu Büchern und ging insgesamt von guten Chancen für das Deutschlernen im Norden dieses riesigen Landes aus.

Alexander Belobratow aus St. Petersburg machte unter dem Titel „Germanistik in Russland: Informationsfelder und Organisationsstrukturen" die Veranstaltungsgäste mit den Strukturen der Auslandsgermanistik und Deutschvermittlung bekannt und berichtete über den jüngst gegründeten russischen Germanistenverband.

Rudolf Hoberg (Vorsitzender der GfdS) skizzierte in seinem Eröffnungsvortrag die Stellung des Deutschen in der Welt und legte hiervon ausgehend dar, welche Zukunft die Sprache neben anderen - wie dem Russischen - als große Arbeitssprache in der EU und im gesamten Europa haben kann.

Am zweiten Konferenztag begrüßte Viktor Nekrassov, Vorsitzender des Zweiges St. Petersburg, die Gäste auf sehr emotionale Weise. Im ersten Block dieses Tages ging es um den Diskurs und die Verständigung zwischen den Völkern - die Spannweite reichte von allgemeinen Kontaktbedingungen bis hin zum Vergleich konkreter sprachlicher Einheiten.

Armin Burkhardt (Magdeburg) zeigte mit der Fragestellung „Wie spricht man die Sprache der Verständigung zwischen den Völkern?" an unterschiedlichen Reden sehr eindringlich, wie politische Einstellungen und Gefühle Texte und deren Gestaltung beeinflussen können bzw. wie mit Wörtern des „Heiligen" Krieges in verschiedenen Epochen umgegangen worden ist.

Konstantin Filippow stellte aus der Sicht eines Lehrstuhlleiters für Germanistik in St. Petersburg dar, wie mentale und gesellschaftliche Unterschiede das Fremdsprachenlernen sowie die Vorstellung vom Fremden und den Diskurs insgesamt beeinflussen können.

Alfred Warner (Darmstadt) ging als Nichtgermanist während seines „Spaziergangs durch die Fachsprache" ins sprachliche Detail und gab mit dem Vergleich von deutsch-russischen Fachausdrücken wie mit Betrachtungen zum Normen und Eindeutschen Beispiele für den jahrhundertealten Sprachkontakt. Für viele anwesende Lehrerinnen und Lehrer bot sich damit gleichsam nützliches Unterrichtsmaterial.

Die Sichtweise des Symposions wurde im zweiten Block durch die Präsentation von Victoria Jamschanowa (St. Petersburg) zum „Wirtschaftsdeutsch in Russland" bereichert. Als zentraler Begriff tauchte dabei der auf russische literarische und psychologische Traditionen zurückgehende Begriff des „akmeologischen Sterns" auf, an dem das sich verschiebende Beziehungs gefüge für die Ausbildung im Wirtschaftsdeutsch verdeutlicht werden konnte.

Tatjana Katskowa (St. Petersburg) kam in ihrem Vortrag „Deutsch als Fremdsprache im Umbruch - Erfahrungen aus der Perestroika-Zeit" zu folgenden Schlussfolgerungen: Erprobtes und Bewährtes sei zu schnell ad acta gelegt worden, inzwischen seien die Beteiligten um Augenmaß und Differenzierungen im didaktischen Herangehen bemüht, um Erfahrungen aus verschiedenen Epochen und Schulen zu nutzen.

Ulrich Ernst (Kulturattaché des deutschen Generalkonsulats in St. Petersburg) stellte anhand einiger Begebenheiten aus dem diplomatischen Alltag dar, wie es aufgrund von Kulturunterschieden zu Missverständnissen kam und wie diese ausgeräumt werden konnten.

Literaturwissenschaftliche Akzente setzte Dieter Betz (Wiesbaden) mit seinem Streifzug durch das deutsche Nachkriegstheater als ein Tor zur Welt, indem er zeigte, wie sich Russen und Deutsche auf diesem Gebiet wechselseitig beeinflussten.

Aus der Arbeit des Goethe-Instituts in St. Petersburg, das die Vorbereitung des Symposions vor Ort unterstützt hatte, berichtete die Leiterin der Sprachabteilung, Ulla Wolf.

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion zum Thema „Ansichten und Absichten - Spracharbeit in Russland" wurden die Zugänge der verschiedenen Mittler vorgestellt und die Jahre gemeinsamer Arbeit (vor und nach den Wenden in beiden Ländern) analysiert.
Neben dem Moderator, Rudolf Hoberg, hatten auf dem Podium Platz genommen: Hubert F. Kötter, did deutschinstitut (Stockstadt), Markus Mathyl, Deutscher Akademischer Austauschdienst (Büro St. Petersburg) sowie Viktor Nekrassov, Ulrich Ernst und Ulla Wolf.

Der dritte Tag stand im Wesentlichen im Zeichen der sprachlichen Arbeit mit dem aktuellen Deutsch in den Zweigvereinen. Die Direktorin des gastgebenden deutsch-russischen Begegnungszentrums Petrikirche, Arina Nemkowa, stellte zur Begrüßung mit einem Film in beeindruckender Form dar, wie sich das Zentrum in den letzten zehn Jahren zu diesem zentralen Anlaufpunkt für alle am Deutschen Interessierte entwickelte.

Lutz Kuntzsch (Wiesbaden) gab einen Überblick über die Arbeit der Zweigvereine in Russland, die es seit den Gründungen des Jahres 1997 und der Folgezeit insgesamt auf ca. 140 Veranstaltungen gebracht haben, und legte - gemeinsam mit Werner Seidel (Frankfurt am Main) - innerhalb einer reichhaltigen Themenpalette den inhaltlichen Schwerpunkt auf die Arbeit mit dem Sprachmaterial. Gerade die Wörter der Jahre wie die Vornamenstatistiken eignen sich aufgrund ihrer Kompaktheit, Aktualität und Verständlichkeit hervorragend für die qualifizierte Beschäftigung in den verschiedenen Veranstaltungsformen. Der „Sprachdienst", der allen Mitgliedern über die Zweigvorsitzenden zugeleitet wird, bietet - zum Beispiel mit den Fragen und Antworten - aufschlussreiches Material für die vielfältige Arbeit und wird gern direkt als Unterrichtsmaterial genutzt.

Ludmilla Grischaewa, Vorsitzende des Zweiges Woronesch, referierte zum Thema „Wörter der Jahre im Unterricht Deutsch als Fremdsprache" und exemplifizierte damit den Gedanken der Wortschatzdarbietung anhand von Erfahrungen mit schöpferisch erstellten Lehrerhandreichungen, in denen sich wertvolle methodische Zugänge zu unserem Wortschatzmaterial finden.

„Das Fach Deutsch und die Sprachpflege in der Hochschulbildung" - so lautete das Thema von Swetlana Massina, Vorsitzende des Zweiges Saratow. Sie zeigte an Beispielen ihrer Hochschule, wie kreativ in den Textsorten Märchen oder Sage mit den Jahreswörtern als Teil des landeskundlichen Weltwissens umgegangen wird. Oft treten in Sitzungen des Zweigvereins Spezialisten anderer Fachrichtungen auf, die über gute bis sehr gute Deutschkenntnisse verfügen und im Sinne der GfdS Sprachliches und Fachliches verbinden.

Zuvor hatte Viktor Nekrassov sehr anschaulich die Siedlungsgeschichte der Deutschen an der Newa - vor allem unter Katharina II. - geschildert und dabei besonders den Einfluss auf den Wortschatz gezeigt, der sich bis heute anhand vieler Germanismen in der russischen Sprache nachweisen lässt.

Margot Dietrich (Wiesbaden) lieferte als langjährige Mitarbeiterin der GfdS zum Thema „Sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Gegenwartsdeutsch" in übersichtlicher Form anregendes Material mit echtem Neuheitswert für die Deutschausbildung und erwies mit der Beachtung der Frauen in der Sprache den vielen aktiven Lehrerinnen und Studentinnen ihre Reverenz.

Mit Spannung erwartet wurde die von Rudolf Hoberg geleitete abschließende Diskussionsrunde mit weiteren Zweigvorsitzenden: Elena Filippowa (Moskau), Lilia Prochorowa (Omsk), Natalia Rodina (Polargebiet), Natalia Rukawischnikowa (Tscheljabinsk) sowie Stephan Walter, DAAD-Lektor Moskau und Referent auf GfdS-Veranstaltungen. Sie stellten beeindruckende Ergebnisse aus der mehrjährigen Zweigarbeit vor, diskutierten im Anschluss, welche Themen sich besonders für Vorträge eignen (Dialekte, aktuelle Lexik, schöpferischer Umgang mit dem Deutschen), regten an, Leitthemen für Veranstaltungszyklen zu vereinbaren und erfolgreiche Referentinnen und Referenten in verschiedene Zweigvereine zu schicken sowie eine Deutschwoche zu veranstalten, in der jeder Zweigverein einen Tag gestalten kann. Für alle Gäste war es angenehm, ja teils überwältigend, zu hören, mit welchem Einsatz und mit welcher Freude sich die beteiligten Personen der deutschen Sprache in verschiedenen Formen widmen.

Insgesamt vermittelte das Symposion den Eindruck, dass dem Deutschen in der Russischen Föderation hinter dem Englischen eine sehr gute Stellung zukommt und die Lernerzahlen wieder leicht im Steigen begriffen sind. Eine Zweigvorsitzende hat dies einfach ausgedrückt: „Englisch müssen wir lernen zur internationalen Korrespondenz, aber das Deutsche lernen wir, weil wir es lieben." Das gibt Hoffnung für die weitere Arbeit in den Zweigvereinen und zur Stärkung der deutschen Sprache in der Russischen Föderation.

Lutz Kuntzsch

 AsKI KULTURBERICHTE 3/2003

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