Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum: Ausstellung ‘Leuchtendes Zauberschloß aus unvergänglichem Material‘ - Hofmannsthal und Goethe

Hugo von Hofmannsthal vor seiner Bibliothek in Rodaun, um 1928, Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum, Sammlung Dr. Rudolf Hirsch, Foto: Matthias Sauerbier, Hünfeld-Nüst

Im März 1891 notierte sich der Dichter Arthur Schnitzler in sein Tagebuch: "Bedeutendes Talent, ein 17j. Junge, Loris (v. Hofmannsthal). Wissen, Klarheit und, wie es scheint, auch echte Künstlerschaft, es ist unerhört in dem Alter."

Im berühmten Café Griensteidl hatte er gerade den Gymnasiasten Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) kennen gelernt, der bereits mit einigen Gedichten und Aufsätzen in Wiener Zeitschriften Aufsehen erregt hatte und bald als das jüngste Genie des "Jung-Wien" gefeiert wurde. Vergleiche mit dem Genie Goethes ließen nicht lange auf sich warten. Als einer der Ersten attestierte Hermann Bahr Hofmannsthal öffentlich "das Wilhelm-Meisterliche".

Die Gedichte und Versdramen des jungen Dichters wurden im Wien der Jahrhundertwende immer wieder mit Goethe in Verbindung gebracht - so vernehmlich, dass Karl Kraus, selbst ein glühender Goethe-Verehrer, gegen diese Gleichsetzung mit dem Dichterfürsten im Goethe-Jahr 1899 in seiner Zeitschrift "Die Fackel" scharfzüngig polemisierte: "Brauchen wir noch zu fragen, wie Hugo v. Hoffmannsthal [sic !] über Goethe denkt? Wer weiß nicht, dass Goethe der Hoffmannsthal [sic !] des 18. Jahrhunderts gewesen ist?" Obwohl die Wahrnehmung Hofmannsthals als früh vollendetes Genie den Blick der Öffentlichkeit bestimmte, er 1902 sogar in einer Karikatur thronend auf dem Wiener Goethe-Denkmal dargestellt wurde, ist die Goethe-Aneignung des Dichters doch wesentlich vielschichtiger als gemeinhin angenommen und in der Forschungsliteratur dargestellt.

Karl Bauer, Der junge Goethe um 1907, Lithographie, Foto: Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-MuseumUnter dem Titel ",Leuchtendes Zauberschloß aus unvergänglichem Material'. Hofmannsthal und Goethe" zeigt das Freie Deutsche Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum vom 12. November 2001 bis zum 13. Januar 2002 eine Ausstellung, welche die verschiedenen Facetten und Formen von Hofmannsthals produktiver, aber auch kritischer Goethe-Rezeption erstmals mit all ihren Wandlungen in den knapp vierzig Jahren seines dichterischen Schaffens dokumentiert. Etwa 250 Exponate sollen dabei Einblicke in eine außergewöhnliche und produktive Form der Goethe-Aneignung im 20. Jahrhundert geben. Dies könnte nirgends besser dargestellt werden als im Freien Deutschen Hochstift, zu dessen Sammel- und Forschungsschwerpunkten sowohl das Werk Goethes als auch jenes Hugo von Hofmannsthals zählen. Dabei werden die eigenen Bestände an Handschriften, Fotos, Theaterzetteln, Bühnenbildentwürfen und Büchern aus Hofmannsthals Bibliothek noch durch eindrucksvolle Leihgaben aus Marbach, München und Wien ergänzt.

Karl Bauer, Hugo vom Hofmannsthal 1900, Lithographie, Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum, Foto: Matthias Sauerbier, Hünfeld-Nüst"Goethe ist nicht der Quell von diesem und jenem in unserer neueren Literatur, sondern er ist ein Bergmassiv, und das Quellgebiet von all und jedem in ihr", bekennt Hofmannsthal in seinem "Buch der Freunde". Für ihn und sein Werk gilt dieser Aphorismus in besonderem Maße. Wie ein roter Faden zieht sich die produktive Auseinandersetzung mit Goethes Werk durch seine Dichtung. Schon der 14-jährige Schüler berichtet in einem Brief an eine Freundin, dass er "in der chronologischen Leserei des grossen Goethe ziemliche Fortschritte" gemacht habe und nun bereits "die ganze Jugend, mit ihren reichen, leider nur fragmentarischen Entwürfen" hinter sich habe. Diese gründliche und keineswegs durch die Schule eingeforderte Goethe-Lektüre bildet die Grundlage für seine profunde Kenntnis der Schriften des verehrten Klassikers. Über seine Goethe-Ausgabe, die Cotta-Ausgabe von 1840 aus dem Besitz seines Großvaters, schreibt er einmal: "meine geliebten 40 Bände, wie kleine Hausgötter. wie sie immer wieder vollzählig zusammenkommen. ihr zusammenkommen hat etwas olympisches. die wundervolle Polyphonie".

Dieser "wundervollen Polyphonie" spürt die Ausstellung nach, indem sie nicht allein das lyrische, sondern auch das erzählerische und dramatische Werk Hofmannsthals auf Einflüsse Goethes hin untersucht. Dichtungen wie der "Der Tor und der Tod", "Die Frau ohne Schatten", das Romanfragment "Andreas" oder sein berühmter "Jedermann", ja selbst die Salzburger Festspiele, an deren Einrichtung der Wiener Dichter einen gewichtigen Anteil hat, sind ohne den Bezugspunkt Goethe nicht denkbar.

Wiederholter Spiegelungen seiner Goethe-Aneignung wird man zudem im Gespräch mit der Familie, mit Freunden und Bekannten (z.B. Rudolf Borchardt, Thomas Mann, Rudolf Alexander Schröder, Stefan Zweig) gewahr. Auch mit bedeutenden Philologen seiner Zeit pflegte Hofmannsthal das Gespräch über Goethe (Wilhelm Dilthey, Hans Gerhard Gräf, Georg Witkowski) und genoss deren Respekt als Dichter und Gelehrter.

Hugo von Hofmannsthal, Prolog zu einer nachträglichen Gedächtnisfeier für Goethe 1899 (Reinschrift), Foto: Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-MuseumSo fördert die Ausstellung Überraschendes zutage und einiges, was eng mit dem Frankfurter Ausstellungsort verbunden ist. Etwa eine Postkarte aus dem Frankfurter Goethe-Haus an seine Schwiegermutter, Fanny Schlesinger, mit den Bildern von "Goethe nebst Eltern" und dem Vers: "Vom Vater hab' ich die Statur/Des Lebens ernstes Führen./Vom Mütterchen die Frohnatur/Und Lust zu fabuliren". In einem Brief an den berühmten Schauspieler Josef Kainz schreibt der Dichter im Goethe-Jahr 1899: "Wir müssen zusammen eine Vorlesung geben (...) einen Goetheabend. Ich habe nämlich eine Menge über die Goetheschen Gedichte zu sagen, eine Menge solches Einfaches, wie die Litteraten immer zu sagen vergessen, und das möchte ich viel lieber sprechen als schreiben. Und nachher thuen Sie den Leuten vorlesen, nicht nur ein paar von den prachtvollen Sachen, die Sie ohnehin gern lesen, sondern noch andere kleinere, die viel unbekannter sind. Es könnte so etwas schönes einheitliches werden. Also ja! Ich habe den Goethe nämlich wirklich sehr gern." Von dieser Goethe-Liebe des Dichters Hugo von Hofmannsthal möchte die Ausstellung im Freien Deutschen Hochstift ein anschauliches Zeugnis geben.

Dr. Joachim Seng
wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Handschriftenabteilung
des Freien Deutschen Hochstifts / Frankfurter Goethe-Museum

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog von ca. 300 S. mit etwa 120 teils farbigen Abbildungen in der Edition Isele.

AsKI KULTURBERICHTE 2/2001

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