Eröffnung des Filmuseums Berlin : Künstliche Welten - Teil 2 der Dauerausstellung

Skelett aus dem Film ‘Jason and the Argonauts‘ (GB 1961-1963) von Don Chaffey, Skelett-Armatur, Entwurf: Ray Harryhausen, Filmmuseum Berlin - Deutsche Kinemathek, Sammlung Rolf Giesen, Foto: Filmuseum Berlin - Deutsche Kinemathek

Lichtspiele sind die Grundlage aller Animationen, Geisterbilder und Phantasmagorien. Einer der großen Phantasten der Film-Animation, animistischer Schöpfer skurriler Homunkuli und bizarrer Mischwesen, sagenhafter Bestien und bronzener Kolosse ist der Amerikaner Ray Harryhausen.

In einer Reihe großer Dioramen wie auch neutraler Vitrinen werden seine Animationsfiguren aus Fell, Schaumgummi und Stahlskeletten thematisch zugeordnet:

Da Ray Harryhausen von "King Kong" (1933) beeinflusst war, sind seine Dinosaurier aus "One Million Years B.C." (Eine Million Jahre vor unserer Zeit, 1966) und "The Valley of Gwangi" (Gwangis Rache, 1969) in einer Variation der urzeitlichen Schädelinsel der Cooper/Schoedsack-Produktion versammelt, mit einem Mini-Modell von Raquel Welch im Zentrum.

In einer Unterwasserdekoration lauern Riesenkrebs und Nautilus-Tintenfisch aus "Mysterious Island" (Die geheimnisvolle Insel, 1961) sowie Kraken, das vierarmige Seeungeheuer aus "Clash of the Titans" (Kampf der Titanen, 1981).

Die bekanntesten Kreaturen aus Harryhausens "Sindbad"-Trilogie stehen in Reih und Glied: die stählerne Armatur des menschenfressenden Zyklopen aus "The 7th Voyage of Sinbad" (Sindbads 7. Reise, 1958), die sechsarmige Kali aus "The Golden Voyage of Sinbad" (Sindbads gefährliche Abenteuer, 1972) - und in einer miniaturisierten, vorzeitlichen Höhle wird der Kampf eines gehörnten Troglodyten gegen einen Säbelzahntiger aus "Sinbad and the Eye of the Tiger" (Sindbad und das Auge des Tigers, 1977) nachgestaltet.

In antiker Kulisse starren die alles Lebende versteinernden Augen einer barbusigen Gruselversion der Medusa den Museumsbesucher an. Calibos, die gehörnte Teufelsfigur, hat sich mit einer Peitsche bewaffnet. Wie der Koloss von Rhodos steht Talos der Titan. Und da sind auch die Skelette, die zu Harryhausens Markenzeichen wurden. In "Jason and the Argonauts" (Jason und die Argonauten, 1963) ließ er die Gerippe aus den Zähnen der vom Titelhelden erschlagenen siebenköpfigen Hydra wachsen und lieferte den Recken der griechischen Sage eine unvergessliche Schlacht.

In einem Dynamation-Aufbau, komplett mit Rückprojektor und Rückproschirm, wird Harryhausens individuell zugeschnittene Technik anhand eines Modells der Hydra anschaulich. Da meist geringe Budgets komplizierte Setups aus Miniaturdekorationen und Multiplan-Glasgemälden à la "King Kong" verhinderten, integrierte Harryhausen seine Modellfigur per Split Screen (Bildteilung) direkt in ein rückprojiziertes Realbild mit dem jeweiligen Darsteller und trug damit wesentlich zum quasi dokumentarischen Naturalismus alptraumhafter Stoffe bei.

Eine einzelne Vitrine birgt unscheinbare, nichtsdestotrotz bedeutsame Relikte der Stop Motion-Filmgeschichte: den Pteranodon, der Fay Wray entführen wollte, aber von dem Riesenaffen "King Kong" erwürgt wurde, von dem ein Animationsschädel ausgestellt ist - den Schwanz eines Skorpions aus einem anderen Film von "Kong"-Schöpfer und Harryhausen-Mentor Willis O'Brien: "The Black Scorpion" (1957) - den Schädel des "Rhedo"saurus aus Harryhausens "The Beast From 20,000 Fathoms" (Panik in New York, 1953) und einen Oktopus ohne Tentakel aus "It Came From Beneath The Sea" (1954).

Ray Harryhausen, dem die Academy einen Oscar für sein Lebenswerk und das American Film Institute die Ehrendoktorwürde verlieh, steht ganz in der archaischen Tradition der Künstler des Neolithikums, und eben das macht den Reiz seiner Schöpfungen aus, die dem Modellanimator alles abverlangen, was er über Bildhauerei, Illustration, Miniaturisierung und in Phasen zerlegte Bewegungen weiß.

Allosaurus aus dem Film ‘One Million Years B.C.‘ (GB 1966) von Don Chaffey, Stahlarmatur mit Schaumgummikörper, Entwurf: Ray Harryhausen, Filmmuseum Berlin - Deutsche Kinemathek, Sammlung Rolf Giesen, Foto: Michael Lüder, PotsdamAls Ray Harryhausen aufhörte, hatten sich die, die er noch als Kinder beeinflusst hatte, von der Handarbeit abgewandt. Sie wollten Weltraumgeschichten erzählen und sich dabei einer modernen, einer der NASA und der Flugzeugindustrie entlehnten Technik bedienen. Ein großer Modellaufbau rekonstruiert eine Szene aus Steven Spielbergs "Close Encounters of the Third Kind" (Unheimliche Begegnung der dritten Art, 1977): Das im Neonlicht erstrahlende Mutterschiff einer außerirdischen Zivilisation landet majestätisch auf dem Devil's Tower, einem Tafelberg in Wyoming. Als George Lucas "Star Wars" (Krieg der Sterne, 1977) drehte, gab es so gut wie keine traditionellen Trickdepartments mehr. Junge Leute in Jeans und Turnschuhen, John Dykstra, Richard Edlund und Douglas Trumbull, der an "2001" mitgearbeitet hatte, mussten Technik für sich neu erfinden, nur moderner. So wagten sie einen Blick in die Zukunft. Flugsimulatoren, Computergrafiken und Roboterkameras (Motion Control-Anlagen) waren ihre technische Basis, ihre Blaupause nicht mehr Dantes Inferno, sondern die infernalischen Kriegsbilder, die ein unvorstellbar grausamer Zweiter Weltkrieg in das kollektive Unterbewusstsein der Menschheit gebrannt hatte. Der Krieg der Sterne ist mit Stuka-Sound untermalt.

Der Sprung vom irdischen Krieg zum Krieg im Weltraum wird im Science fiction-Teil der Ausstellung "Künstliche Welten" dokumentiert am Beispiel mehrerer Requisiten und Figuren: Stuka-Modell aus einem Kriegsfilm mit Tyrone Power ("A Yank in the R.A.F.", 1941) - Jules Vernes Luftschiff Albatros aus "Master of the World" (Robur, der Herr der 7 Kontinente, 1960) - eine marsianische Kampfmaschine aus "The War of the Worlds" (Kampf der Welten, 1953) - Lord Darth Wader aus der "Star Wars"-Saga - die für Zwecke der Computeranimation geschaffenen Büsten der Enterprise-Besatzung aus "Star Trek IV" (1986) - Miniaturen und Artwork aus Roland Emmerichs "Moon 44" (1989) und "Independence Day" (1996). Videoausschnitte schlagen die Brücke von der "Front am Himmel" (1942-44) über Satellitenanimationen bis zu "Tagesschau"-Bildern aus dem Kosovo.

George Lucas sieht die Zukunft des Kinos digital. Heute kommen die Animationen aus dem Computer. Dennis Muren und Phil Tippett, zwei der von Ray Harryhausen inspirierten Spezialisten, realisierten in Steven Spielbergs "Jurassic Park" (1993) mehrere Minuten mit CGI-Sauriern: Ausgestellt ist die Armatur des von ihnen als Grundlage der Animation benutzten Velociraptor-Modells. Computeranimation machte die erstaunlichen, von dem Zeichenfilmer Tex Avery abgeschauten "Kautschuk"-Metamorphosen von Jim Carrey in "The Mask" (Die Maske, 1994) möglich. Riesenkäfer, die die Menschheit in "Starship Troopers" (1998) bedrohen, am Beispiel eines CGI-Modells. Auch Menschen werden heute mit Hilfe spezieller Laser-Scanner digitalisiert oder per Motion Capture, von den Passagieren der "Titanic" (1997) bis zur Wireframe-Marlene Dietrich, zu neuem Leben erweckt. Auf einer Bildwand, flankiert von einem lebensgroßen "RoboCop" und einem "Westworld"-Roboter (1974), erlebt man die Vision vom künstlichen Menschen. Der Trickfilm liefert, wie Bazon Brock einmal bemerkte, neue Bilder vom Schöpfungsakt. In der Science fiction ist sie allgegenwärtig: die Kreuzung aus Mensch und Computer.

Eine ausführliche Publikation unter dem Titel "Künstliche Welten" - Filmmuseum Berlin - Deutsche Kinemathek / Rolf Giesen-Sammlung, herausgegeben von Rolf Giesen und Claudia Meglin, ist im Europa-Verlag, Hamburg erschienen zum Preis von 48,50 DM.
Erstabdruck des Beitrags im MuseumsJournal, Juli 2000

Dr. Rolf Giesen

Leiter der Special effects-Abteilung
Filmmuseum Berlin - Deutsche Kinemathek

AsKI KULTURBERICHTE 1/2001

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