EDITORIAL: Wissensgesellschaft

Zu den Kennzeichen von Schlagworten zählen Einseitigkeit und Vagheit. Dies gilt auch für die jüngste postmoderne Identifikation der deutschen Gesellschaft als Wissensgesellschaft. Auslöser ist das Internet, das durch seinen ständig wachsenden, in Sekundenschnelle abrufbaren Wissensvorrat Buchformate wie den „Brockhaus" verdrängt. Probleme, die im vor 200 Jahren erschienenen „Faust“ als endgültige Absage an den enzyklopädischen Optimismus der Aufklärung erfaßt schienen, stellen sich neu:

„Habe nun, ach, Philosophie,
Juristerei und Medizin,
und leider auch Theologie!
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh’ ich nun, ich armer Thor!
Und bin so klug als wie zuvor.
(…) Und sehe, daß wir nichts wissen können!“

Doch die Begrenztheit der Rezeptionsmöglichkeiten vom Ziel des Beschreibens und Bewertens aller wichtigen Veröffentlichungen immer weiter wegführend, unter der die Herausgeber der Rezensionsorgane des 18. Jahrhunderts so gelitten haben, ist durch das Internet aufgehoben, und die Verfügbarkeit stößt auf die andere, von Faust auch angesprochene Grenze, die der Erkenntnis. Was müssen wir, als Einzelpersonen, noch wissen, wenn doch alles so bequem auf unsere Abfrage wartet?

Für unsere im AsKI verbundenen Bildungseinrichtungen bedeutet dies konkret, daß neben der Sicherung unserer Sammlungen, die oft aus der leidenschaftlichen Begeisterung Einzelner für das Kanonische hervorgegangen sind, die Frage nach der Präsentation und Weitergabe des Gesammelten durch elektronische Nutzung brisant wird. Zum einen geht es dabei um einen ungehinderten Zugang zu Informationen, zum anderen um den Schutz der Urheberrechte. Die Europäische Kommission hat dazu das Grünbuch „Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft“ veröffentlicht, das dazu einlädt, u.a. Vorschläge zur Nutzung für Forschung und Unterricht, für Behinderte durch Braille- Schrift, Großdruck, Hörbücher, für Katalogbeschreibungen zu machen. Wissenschaftler, Bildungseinrichtungen, Verlage – im Grunde alle Personen und Institutionen, die den Wissens- und Bildungsstand mit Hilfe des Internets erhöhen wollen – sind nun aufgefordert, zu den im „Grünbuch“ aufgeworfenen Fragen und Themenkomplexen Stellung zu nehmen. Eine Debatte von vitalem Interesse für unsere Institutionen, für die Gesamtgesellschaft kommt in Gang.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Volkmar Hansen
Vorsitzender des AsKI

Titelbild KULTUR lebendig 2/08 : Lovis Corinth. Angelica mit dem Drachen, 1914, Öl auf Leinwand, Berlinische Galerie

AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 2/2008

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