EDITORIAL: Selbstreflexion

Es gibt genügend Beispiele dafür, dass die notwendige Anpassung, die Aufnahme des Modernisierungsdrucks, schmerzhaft und unvollständig verlaufen ist.

Die Bereitschaft zur Erneuerung, so unvollständig sie zunächst vorhanden sein mag und die gegen eine innere Trägheit anzukämpfen hat, gehört zu unserer Zivilisation und hat in der Kunst nicht nur Begleiter, sondern oft auch vorausschauende Ausdrucksformen gefunden. Goethes zuerst 1819 veröffentlichter Gedichtband "West-östlicher Divan" ist ein solches Beispiel. Als der Verfasser schon im Vorfeld durch eine Vorab-Publikation Verständnisschwierigkeiten erkennt, ergänzt er die Gedichte um "Noten und Abhandlungen", um Erläuterungen, die einen sachlichen Zugang zur Welt des Orients, besonders Persiens und des Vorderen Orients, möglich machen. Oder, in Hermann Hesses Diktion: "Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, / Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen".

Was zu Goethes Zeit entwickelt werden sollte, war die Fähigkeit zur Toleranz gegenüber einer Welt, mit der man lange kriegerisch konfrontiert war. Sein identifikatorisches Spiel spricht eine menschheitliche Gotteskindschaft aus, sucht das Versöhnbare zu versöhnen, gibt aber auch Anstöße, den Prozess der Selbstreflexion überall in Gang zu setzen. Fortschritt und Anpassungsfähigkeit sind komplementäre Begriffe, für deren Umsetzung unsere Institute in einem präzisierten Integrationsbegriff in besonderem Maß geeignet sind.

Volkmar Hansen, Vorsitzender des AsKI

Titel KULTUR lebendig 1/06

AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 1/2006

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