EDITORIAL: Lutherdekade 2008-2017 - Bruder Martin

Als Mittler, der eine Allianz beider Nationen anstrebt, stößt Heinrich Heine 1831 in Paris auf ein durch Madame de Staëls De l'Allemagne gewecktes Interesse der französischen Intellektuellen an objektivierenden Informationen, auf das er mit einem umfangreichen Essay Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland eingeht. Dessen ganzer erster Teil ist der Gestalt Martin Luthers (1483-1546) gewidmet, den er als providentiellen Mann versteht: „nicht bloß der größte, sondern auch der deutscheste Mann unserer Geschichte", der „auch persönlich das wunderbare Deutschland repräsentiert". Es ist die „protestantische Denkfreiheit", die vor allem durch die Bibelübersetzung („aus einer toten Sprache" in eine andere, „die noch gar nicht lebte") zu einem Akt nationaler Gründung geworden ist. Der Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 an der Wittenberger Schloßkirche bildet nur den Initiationsakt für den Gesamtprozess einer Reformation in vielen Bereichen.

Im Oktober 2008 eröffneten die evangelischen Landeskirchen die „Lutherdekade 2008-2017", die mit zahlreichen Veranstaltungen, verteilt über Themen-Jahre, der Vorbereitung auf das Reformationsjahr 2017 dienen soll und verschiedene Aspekte der Reformation aufgreift. Seit diesem Jahr und bis einschließlich 2017 unterstützt auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann die „Lutherdekade" finanziell.

Die Mitglieder des AsKI haben nun beschlossen, sich ihrerseits - nach Ablauf des fünfjährigen Rahmenthemas „Toleranz und Integration" - mit Projekten an der „Lutherdekade" zu beteiligen: eine vielschichtige Aufgabe. Wie vielschichtig diese ist, das lässt sich schon bei Heine nachlesen. In Stichworten: Ablehnung des Wunderglaubens - Fortleben der Teufelsvorstellung - die im Ablass taxierte Sünde - die persönliche Standhaftigkeit vor dem Reichstag in Worms 1521 - die religiöse Spaltung Deutschlands - eine wahrhaftige Lebensführung in der Ehe für Prediger - der spitzfindige Theologe - schauerlichste Gottesfurcht - Flötenspieler, Musikliebe - Mann der Tat - Versittlichung, Auflösung des Evangeliums in Moral - das protestantische Pfarrhaus - Presse-Freiheit - Stütze der Fürsten - hebräische Bibel - Dunkelmännerbriefe, Streitschriften - „Ein feste Burg ist unser Gott" - Beginn der neueren deutschen Literatur, Klassisch und Romantisch - Vernunft und Gewissen - Revolution - „Der Mensch steht jetzt allein seinem Schöpfer gegenüber, und singt ihm sein Lied".

Johann Wolfgang Goethe, eigenhändig kolorierter Sinnspruch auf Schmuckblatt: Luther / Wer redlich ficht / wird gekrönt. Weimar d. 5. Jan. 1814. Goethe, Goethe-Museum Düsseldorf, NW 2511/2010, Format: 22,6 x 29,2 cm.

Heines Bild vom „Bruder Martin", intertextuell in Goethes Götz von Berlichingen rebellisch-identifikatorisch vorgeprägt, kann bis zur Gegenwart lebendige Basis für eine Auseinandersetzung mit Luther als einer zentralen Gestalt der Weltgeschichte bleiben. Am Beispiel eines Nachfolgers, Thomas Manns: Auf die Sprachentwicklung seit der Luther-Zeit zurückgreifend und Luther-Epigonalität im Deutschland-Roman Doktor Faustus kritisch vorführend, galt sein letzter Werkplan Luthers Hochzeit.

Ansätze zur gemeinschaftlichen Würdigung Luthers durch den AsKI gibt es mehr als genug.

Volkmar Hansen
Vorsitzender des AsKI

Titelbild KULTUR lebendig 1/11: oben: Marcel van Eeden, o.T., 2010, Nerostift auf Bütten, aus einer Serie von 4 Zeichnungen, Privatsammlung, Köln unten: Apocalypse Now, Francis Ford Coppola (USA 1979), Storyboard: Dean Tavoularis, American Zoetrope Films, San Francisco; Gestaltung: www.jaxygrafik.de

AsKI KULTUR lebendig 1/2011

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