EDITORIAL: Generation Praktikum

Folgendes mag veranschaulichen, vor welche Probleme kulturelle Institutionen im Zusammenhang mit Praktikanten seit einigen Jahren gestellt sind. Das Düsseldorfer Goethe-Gymnasium hat in seiner zum Profil gehörenden Theatergruppe ein von Abiturienten selbstentworfenes Stück inszeniert, in dem der Schulalltag - kaum noch lehrerbezogen - zum Ausdruck kommt. In einem der chorischen Teile, in dynamischer Tanzlinie verwirklicht, fällt die Selbstbezeichnung als "Generation Praktikum". Gemeint ist damit eine Generation, die sich nach Abitur und erfolgreichem Abschluss des Studiums zwar nicht auf der Straße, aber häufig in einem unbezahlten Praktikum wiederfindet. Zum Glück widerspricht der prognostizierten Hoffnungslosigkeit meist das kraftvoll-jugendliche Bemühen, diese Prophezeiung nicht wahr werden zu lassen.

Seit einigen Jahren befinden sich die deutschen Universitäten im sog. Bologna-Prozess, in einem Prozess der Angleichung der Studienverhältnisse innerhalb der Europäischen Union. Die wegen der befürchteten Qualitätsminderung umstrittene Implantierung ist mit einer stärkeren Praxisorientierung verbunden, d. h. die Studierenden müssen als Teil ihrer Pflichtaufgaben ein Praktikum oder auch mehrere in den Berufsfeldern absolvieren, die sich aus ihrer Fächerwahl ergeben. Der Wunsch nach einem Praktikum in einer Kultureinrichtung gehört damit nicht länger zum Kennzeichen eines besonders engagierten Studenten, der sein großes Interesse am Fach noch weiter spezifizieren möchte, sondern zur Alltagsnorm. Ein Strom von Studierenden kommt auf uns zu, den es in mehrfacher Hinsicht zu kanalisieren gilt. Der wichtigste Unterschied zwischen unbezahlten Praktika nach dem Studium und Praktika als Bestandteil des Studiums liegt in der Definition von Letzteren als notwendigem Bestandteil der Studienausbildung. Praktika im Studium sollen vor allem nicht im allerletzten Abschnitt der Bachelor- und Masterausbildung angesiedelt sein, um die Vorbereitung der Abschlussprüfungen nicht zu beeinträchtigen. Während früher Praktikanten schon einen guten Wissensfundus mitbrachten, ist bei dem neuen Typus von einem relativ hohen Anleitungsbedarf auszugehen. Damit stellt sich auch die Frage der Honorierung neu. Ließen sich bisher Praktika oft mit kleineren Werkverträgen verbinden, weil eine erkennbare Arbeitsleistung für die Institution zu erwarten war, so müssen die neuen Praktikanten, bei reduzierter Selbständigkeit, besonders an die Hand genommen werden. Es stellt sich zudem die Frage, wer diese intensive Betreuung übernehmen soll. Während die Praktikanten früher führungsnah eingesetzt werden konnten, da hier die Nachwuchsbildung ein Auswahlkriterium war, so ist der neue Typus eher im Bereich der Museumspädagogik einzusetzen.

Es ist nicht auszuschließen, dass ein gewisses Konkurrenzdenken Auswirkungen auf das gesamte Arbeitsklima haben kann - zudem ist auch die konkrete Überforderung von Mitarbeitern zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die neue Situation gilt es Anzahl, Auswahl, Verweildauer und Honorierung der Praktikanten zu überdenken und zugleich die arbeitsmäßige Mehrbelastung in eine aufgabengerechte Relation zu bringen. Besonders Praktikanten mit Migrationshintergrund sollten die Chance erhalten, einen Einblick in Kultureinrichtungen zu bekommen, der ihnen hilft, Fremdheitsgefühle abzubauen. Eine letzte Konsequenz könnte es sein, neue Stellen zu schaffen, um dem als notwendig erkannten gesellschaftlichen Auftrag gerecht zu werden.

Volkmar Hansen, Vorsitzender des AsKI e.V.

Titelbild KULTUR lebendig 2/07: Paula Modersohn-Becker, Selbstbildnis mit Hut und Schleier, 1906/07, Öl auf Leinwand, Den Haag, Gemeentemuseum

AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 2/2007

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