EDITORIAL: Assimilation

In den letzten Jahrzehnten hat sich ein Zweig der germanistischen Linguistik entwickelt, der sich mit dem Streit um Worte, der Besetzung eines politischen Begriffs mit bestimmten Inhalten und seiner Verwendung im negativen oder positiven Sinn zur Bestimmung eigener oder fremder politischer Positionen auseinander setzt. So ist etwa die Besetzung der Bezeichnung "68er Generation" noch immer nicht ganz entschieden, während ein Kürzel wie "APO" für die "Außerparlamentarische Opposition" zum Vermeidungsgestus führt, weil die Nähe zur terroristischen Entwicklung in den 70er Jahren zu groß ist. Manchmal hat die Kürzelbildung selbst schon wertenden Charakter wie "FDGO", die "Freiheitlich-demokratische Grundordnung", wobei die Verkürzung die Vertreter dieser Position als litaneihafte Langweiler bloßstellen sollte. Die Wirksamkeit solcher Besetzungen sendet Signale von unterschiedlicher Dauer, die bis zur eindeutigen lexikalischen Festlegung führen können.

Der Begriff "Assimilation" hat im Zuge der Überlegungen zur Integration der türkischen Minderheit in Deutschland an Brisanz gewonnen. Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat in seiner auf Türkisch gehaltenen sog. Kölner Rede vom Februar 2008 die schärfste Form der Stigmatisierung gewählt: "Ich verstehe die Empfindlichkeit, die Sie gegenüber der Assimilation zeigen, sehr gut. Niemand kann von Ihnen erwarten, Assimilation zu tolerieren. Niemand kann von Ihnen erwarten, dass Sie sich einer Assimilation unterwerfen. Denn Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Mit dieser Kriminalisierung des Begriffs schafft Erdogan eine türkisch-islamische Sonderinterpretation, die sich deutlich vom deutschen Sprachgebrauch abhebt. Das lateinische Fremdwort für Anpassung hat seine besondere Geltung im 19. Jahrhundert gewonnen, als Charles Darwin das naturwissenschaftliche Verständnis von Anpassung in sein Konzept des Überlebens der Arten auch an diese Fähigkeit knüpfte. Um den Unterschied der Entwicklung menschlicher Gesellschaften von einer Naturgesetzlichkeit zu markieren, hat es verschiedentlich Versuche gegeben, ihn durch den Begriff der "Akkulturation" zu ersetzen, ohne dass diesen Versuchen ein dauerhafter Erfolg in der Standardsprache beschieden war.

Sprachlich eröffnet die Stigmatisierung von "Assimilation" einen Kampf um die politische Wertigkeit von Anpassung, eröffnet die Frage, inwieweit die Vorstellung religiöser Toleranz unserer Verfassung an Grenzen stößt. Die Kriminalisierung des Begriffs im Zusammenhang mit einem Bevölkerungsanteil von drei Millionen Menschen, von denen - so Erdogan - 800.000 deutsche Staatsbürger seien, lässt Zweifel zu, ob die in anderen Teilen der Rede geforderte demokratische Einbindung nicht doch nur als ghettoisierende Isolation und damit mangelhafte Anpassung gedacht ist. Wer die desolaten Deutschkenntnisse älterer türkischer Frauen kennt, weiß, wie gefährlich solch ein Aufruf zur Nicht-Anpassung bei gleichzeitiger Verfälschung von Kernforderungen unserer Verfassung ist. Diskussionen um politische Begriffe sorgen für Klarheit, machen die eigenen Aufgabenstellungen deutlicher. Die Alternative "melting pot" oder "salad bowl" gewinnt an Kontur. Unsere eigene Diskussion um "Toleranz und Integration", die der AsKI in das Zentrum gemeinsamer Aktivitäten gestellt hat, kann intensiver nach den Möglichkeiten fragen, wie eine solche selbst gewählte, von außen verstärkte Isolation zu verhindern ist, wo und vor allem wie wir auf solche Tendenzen reagieren. Die Kultur hat noch immer die besten Chancen geboten, einen realistischen Brückenschlag zu leisten.

Volkmar Hansen, Vorsitzender des AsKI

Titelbild KULTUR lebendig 1/08: Karl Schmidt-Rottluff, Mädchen bei der Toilette, 1912, Öl auf Leinwand, Brücke Museum Berlin

AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 1/2008

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