EDITORIAL: Angstmachen - Mutmachen

Vier Autoren, die sich beruflich mit Kulturförderung befassen, haben sich unter einem wirkungsvollen Schlagwort zu einer Polemik zusammengetan, die sich gegen die „Verantwortungslosigkeit" des wirtschaftlich uninteressierten „institutionellen Kulturbetriebs" wendet und dessen „meritorische Güter" prinzipiell im Namen eines „postmodernen" Demokratieverständnisses angreift, das zwischen dem Wunsch nach „Pommes rot-weiß" und dem nach einer Theaterkarte keinen Unterschied machen will (Dieter Haselbach u.a., Der Kulturinfarkt. Von Allem zu viel und überall das Gleiche, München 2012).

Inhaltlich wie sprachlich inkonsistent, wird eine Halbierung der - undifferenziert - „öffentlichen Mittel" in Deutschland, der Schweiz und Österreich vorgeschlagen, wodurch die „überlebende Hälfte" der „heutigen Infrastruktur" gut ausgestattet und gegen „Auszehrung" geschützt werden soll. Ergänzungen auf niedrigerem Niveau sollen die Laienkultur, neue digitale Kunstformen, Kunsthochschulen und die Vermittlung gegenwartsbezogener nationaler Kulturausprägungen erfahren. In dem Konglomerat einseitiger Argumentationen, bei der man eine These gegen die nächste an anderer Stelle positionieren könnte, gehen Einzeleinsichten unter. Manchmal antikapitalistisch, manchmal marktwirtschaftlich argumentierend, wird das Ergebnis bisheriger Kulturwirtschaft als Überproduktion beschrieben, die Verknappung benötige, um einem „Infarkt" zuvorzukommen. So werden 788 Literatur- und 881 Medien- und Publizistik-Preise gezählt; Theater- und Museums-Statistiken als Verbrämung eines Besucherschwunds interpretiert; die Künstlerförderung als Wildwuchs im grundgesetzlichen Freiraum dargestellt. Meist kryptisch wird auf Denkmuster wie „die große Erzählung" angespielt, aber auch offen eine kuriose Adorno-Kritik platziert. Wie falsch es für Stiftungen sei, den TVöD zu übernehmen, wird an der Stiftung Preußischer Kulturbesitz demonstriert; die Zahl der deutschen Museumszahlen wird einmal korrekt mit 6281 angegeben, dann wieder, über den Daumen gepeilt, mit 5000. Im Umkreis von 100 km soll es zukünftig nur ein „subventioniertes" Theater geben (man muss sich nur die Folgen für Ballungsräume wie das Ruhrgebiet oder die Rheinschiene ausmalen!).

Die Finanzierung von Sommerfestivals mit hohen Eintrittspreisen wird zum Vorbild. Eine bloße Themenreihung offenbart die Konzeptionslosigkeit der Publikation, die Kunst und Kultur nie voneinander abgrenzt, nur punktuelle Metamorphosen festhält: Integration als sachfremde Aufgabe; Bibliothekenfülle; gegen affirmative Kultur und gegen Empörungskultur; Abgrenzungen der Goethe-Institute von Kulturattachés der Botschaften; staatsnahe Stiftungen; Kulturhoheit der Länder; Kunst als nicht mehr aufklärerische Macht. Zum Negativ-Beispiel wird die Weimarer Klassik, obwohl Goethe im Zusammenhang mit Theatereinnahmen doch wieder als Autorität zitiert wird. Für die Ablehnung von Tagespolitik steht ausgerechnet der ins Exil flüchtende Thomas Mann, mit den fälschlich auf 1915 datierten Betrachtungen eines Unpolitischen.

Diesem Buch von 287 Seiten, das mit intellektueller Chuzpe den „unwissentlichen" Helfern dankt und eine „künftige Kulturpolitik" bestimmen will, wird man die Haltung unseres Bundespräsidenten Joachim Gauck entgegenhalten dürfen, der in seinen ersten Reden einfordert, dem bisher Geleisteten gerecht zu werden. Mutmachend.

Volkmar Hansen
Vorsitzender des AsKI

Titelbild KULTUR lebendig 2/12: Albrecht Dürer, Haller Madonna, 1494/97, Washington, National Gallery of Art, Kress Collection

AsKI KULTUR lebendig 1/2012

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