Diesseits und jenseits von Arkadien: Goethe und Grass als Landschaftszeichner

Johann Wolfgang Goethe, Die Cestius-Pyramide, Grabmonument des Gaius Cestius Epulo, Februar 1788, Bleistift, Feder in Braun, grau laviert, Spuren von Weisserhöhung, © Foto: Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen

Günter Grass-Haus Lübeck / Goethe-Nationalmuseum Weimar

Erstmals werden Landschaftszeichnungen von Johann Wolfgang Goethe und Günter Grass zusammen gezeigt. Die Ausstellung nimmt am Beispiel von 91 Zeichnungen - 52 von Goethe und 39 von Grass - die Mehrfachbegabung dieser beiden weltberühmten Künstler in den Blick.

Dichtende Bildkünstler oder zeichnende und malende Dichter trifft man in der Geschichte immer wieder an. Goethe und Grass sind zwei Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum. Noch heute faszinieren Goethes Zeichnungen und Aquarelle als Pendant zu seinem literarischen und naturwissenschaftlichen Werk. Grass ist Schriftsteller und bildender Künstler. Über Jahrzehnte hinweg übte er bildnerisches und dichterisches Arbeiten neben- und miteinander aus.

Das Thema Landschaftszeichnung bietet sich an, wenn man veranschaulichen will, wie sich zum einen literarischer und zeichnerischer Ausdruck aufeinander beziehen, und wie sich zum anderen das Bild der Landschaft im Laufe der Jahrhunderte grundlegend verändert hat. Das Werk von Goethe und Grass eröffnet unserem Verständnis der jeweiligen Zeit und dabei insbesondere des künstlerischen Zugangs zur Betrachtung von Natur aufschlussreiche Einblicke.

Während in Goethes zeichnerischem Werk die Landschaft eine zentrale Stellung einnimmt und der Dichter über weite Strecken ein Landschaftszeichner war, hat sich der Zeichner und Druckgraphiker Grass nicht auf Landschaft spezialisiert. Doch sie wird immer wieder dargestellt und bildet in einzelnen Serien von Zeichnungen einen Schwerpunkt. Allerdings ist im Gegensatz zu Goethe Grass' Verhältnis zur Natur gebrochen. Er sucht nicht die klassische Ideallandschaft, sondern erblickt die Natur in einer Kulturlandschaft, in der die Umwelt dem Menschen untertan gemacht wurde. Grass' Darstellungen zeigen oft die Erscheinungen der (Zer-)Störung der Natur. Besonders am Landschaftsbild lassen sich bei Goethe und Grass Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzeigen sowohl in der Naturwahrnehmung als auch in der Funktion des Zeichnens. So hielten beide Dichter auf ihren Reisen Landschaften zeichnerisch fest.

"Auch ich in Arkadien!" - diesen enthusiastischen Satz stellte Johann Wolfgang Goethe seinem Buch "Italienische Reise" voran. In Italien weilte er von 1786 bis 1788 und übte sich im Zeichnen der idealen Landschaft. Zweihundert Jahre später, von 1986 bis 1987, besuchte Günter Grass ein völlig andersartiges Land: Indien. Dort zeichnete er "eine weitläufige Landschaft, die sich aus geschichtlichem Müll erfindet" - Dhapa, die Mülllandschaft.

Günter Grass, Dhapa, die Mülllandschaft 1988, Radierung und Aquatinta, © Günter GrassDen Landschaftszeichner Grass faszinierten in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre die zivilisatorischen Wüsten, die der moderne Mensch hinterlässt und die als Folge eine unstillbare Sehnsucht nach Naturidylle hervorrufen. Das, was Grass darstellt, ist jenseits von Arkadien, jenseits von der scheinbar "unberührten" Natur, die Goethe in Italien als Ideal wahrnahm. Die Landschaftszeichnungen werden in der Ausstellung auch durch Texte der beiden Dichter Goethe und Grass ergänzt.

Auf diese Weise soll der Besucher das Landschaftsthema aus zwei Blickwinkeln betrachten können: Die Konfrontation von bildender Kunst und Literatur veranschaulicht die Veränderung der Naturwahrnehmung über die Jahrhunderte. Gerade Grass' späte Landschaftszeichnungen zu den Themen Waldsterben und Tagebau verdeutlichen seinen kritischen Blick. Einher geht damit die Abkehr von der Vorstellung, es gäbe ein Arkadien.

Dr. Kai Artinger
 Leiter des Günter Grass-Hauses Lübeck

Diesseits und jenseits von Arkadien. Goethe und Grass als Landschaftszeichner
Die Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt der Kulturstiftung Hansestadt Lübeck und der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen.
Ausstellungsstationen
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Steidl Verlag, herausgegeben von Kai Artinger, mit Beiträgen von Kai Artinger, Gabriele Merkes, Margarete Oppel, Hans Wißkirchen¸ Daniela Hermes und einem Gespräch mit Günter Grass
ISBN 3-88243-987-4 / 25,- €

AsKI KULTURBERICHTE 1/2004

.

xxnoxx_zaehler