Deutsche Sprachwissenschaft in Italien - Tagung in Rom

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V. l. n. r.:Claudio Di Meola, Universität Rom La Sapienza; Ursula Bongaerts, Casa di Goethe; Rudolf Hoberg, Gesellschaft für deutsche Sprache, © Foto: Dorothee Hock, Casa di Goethe Rom

In Zusammenarbeit mit der Casa di Goethe/ Zweigverein Rom der Gesellschaft für deutsche Sprache

Am 6./7. Februar 2004 hat in Rom die erste Tagung "Deutsche Sprachwissenschaft in Italien" stattgefunden. Veranstaltet wurde die Tagung von der Philosophischen Fakultät (Facoltà di Lettere e Filosofia) der Universität Rom "La Sapienza", der Casa di Goethe/Zweigverein Rom der Gesellschaft für deutsche Sprache und dem Istituto Italiano di Studi Germanici - in Zusammenarbeit mit dem Institut für Deutsche Sprache in Mannheim, dem Verband der italienischen Hochschulgermanisten (Associazione italiana di Germanistica AIG) und der Deutschen Botschaft Rom.

Die Veranstaltung unter der wissenschaftlichen Leitung von Claudio Di Meola ist das Ergebnis der engen Kooperation von universitären und außeruniversitären Einrichtungen, die allesamt an der deutschen Sprache interessiert sind unter (forschungs-)theoretischen wie didaktischen Aspekten. Zwei Ziele wurden mit dieser Initiative ins Auge gefasst:

a) wissenschaftspolitisch die Standortbestimmung einer in Italien noch relativ jungen Disziplin vorzunehmen;

b) kulturpolitisch einen Beitrag zur Erhöhung des Stellenwertes der deutschen Sprache im Ausland zu leisten. Die Tagung markiert in der Tat einen Scheideweg der italienischen Germanistik. Die jüngste Universitätsreform in Italien hat nämlich eine tief greifende Neuordnung der Fächer im Bereich der Germanistik mit sich gebracht hat. Vor der Reform gab es drei Fächer, danach lediglich zwei:

  • Lingua e letteratura tedesca (Deutsche Sprache und Literatur)
  • Linguistica tedesca (Deutsche Sprachwissenschaft)
  • Traduzione - lingua tedesca (Übersetzung - Deutsche Sprache)
  • Letteratura tedesca (Deutsche Literatur)
  • Lingua e traduzione - lingua tedesca (Sprache und Übersetzung - Deutsch)

Neben der Namensänderung des sprachwissenschaftlichen Faches von "Linguistica" zu "Lingua" sind zwei grundsätzliche Neuerungen erkennbar:

die Trennung von Literatur- und Sprachunterricht (der praktische Sprachunterricht, von muttersprachlichen Lektoren durchgeführt, wird dem Verantwortungsbereich der Literaturwissenschaft entzogen);

die Zusammenlegung von Sprach- und Übersetzungswissenschaft.

Die vielleicht auffälligste Konsequenz der Universitätsreform ist ein regelrechter Boom des Faches "Deutsche Sprachwissenschaft". Vor der Reform war "Linguistica tedesca" ein hochspezialisiertes Wahlfach, das meist nur von Studenten der Allgemeinen Sprachwissenschaft und von angehenden Deutschlehrern belegt wurde - Studenten also, die bereits eine solide sprachwissenschaftliche Ausbildung und sehr gute Deutschkenntnisse mitbrachten.

Mit dem Inkrafttreten der Reform sind die in "Lingua tedesca" enthaltenen sprachwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen plötzlich zu einem Pflichtfach für alle Studenten geworden, die an der Universität Deutsch lernen. Mit anderen Worten: Jedem Deutschlerner muss nun eine sprachwissenschaftliche Grundausbildung vermittelt werden.

Der Wandel vom Wahl- zum Pflichtfach hat die Einrichtung zahlreicher neuer verbeamteter Dozentenstellen zur Folge gehabt. Insgesamt gibt es nun 46 Professuren für Deutsche Sprachwissenschaft, wobei 27 in den letzten vier Jahren eingerichtet wurden (dies entspricht einem Anteil von ca. 60%); hinzu kommen noch 32 unbefristete Hochschuldozenturen (davon 14 neu eingerichtet; d. h. 44%). (Stand Dezember 2003; Quelle: http://sito.cineca.it/murst-daus/docenti/docenti.shtml). Den offiziellen Statistiken ist des Weiteren zu entnehmen, dass die Deutsche Sprachwissenschaft insgesamt einen (z. T. stark) überdurchschnittlichen Stellenzuwachs zu verzeichnen hat sowohl im Vergleich zur Deutschen Literaturwissenschaft als auch zu den Sprachwissenschaften der anderen Fremdsprachen sowie zu einem traditionsreichen Fach wie der Allgemeinen Sprachwissenschaft.

Diese Tagung hat den in Italien tätigen Linguisten die Möglichkeit gegeben zu einem näheren wissenschaftlichen Kennenlernen und zu einem vertiefenden Gedankenaustausch und kann somit als Gründungstagung einer neuen Germanistischen Linguistik in Italien gelten. Die Tagung war folgendermaßen strukturiert: 8 Plenarvorträge; drei große Sektionen (Linguistik, Didaktik, Übersetzung) mit insgesamt 34 Vorträgen; eine Postersession mit 13 Teilnehmern; ein Forum für Mitteilungen.

Eröffnet wurde die Tagung von Guido Pescosolido, Dekan der Facoltà di Lettere e Filosofia der Universität Rom "La Sapienza". Es folgten sodann einleitende Betrachtungen von Ursula Bongaerts, Leiterin der Casa di Goethe; Rudolf Hoberg, Vorsitzender der Gesellschaft für Deutsche Sprache; Paolo Chiarini, Direktor des Istituto Italiano di Studi Germanici; Hardarik Blühdorn vom Institut für Deutsche Sprache; Domenico Mugnolo, Vorsitzender des Verbandes der italienischen Hochschulgermanisten; Betina Kern, Kulturattachée der Deutschen Botschaft Rom; Claudio Di Meola, Inhaber des Lehrstuhls für Deutsche Sprachwissenschaft an der Facoltà di Lettere e Filosofia der Universität Rom "La Sapienza".

Die Plenarvorträge wurden zum einen von italienischen Forschern gehalten (Antonie Hornung, Lorenza Rega, Carlo Serra Borneto). Ihre Beiträge fungierten jeweils als Impulsreferate für die drei Sektionen der Tagung. Zum anderen sprachen Gäste aus dem deutschsprachigen Raum: Hardarik Blühdorn (Mannheim), Rudolf Hoberg (Wiesbaden), Oskar Putzer (Innsbruck), Horst Sitta (Zürich) und Heinz Vater (Köln). Ihr Beitrag war wesentlich, um einen fruchtbringenden Gedankenaustausch zwischen der sog. "Auslands-" und "Inlandsgermanistik" zu initiieren und somit zu einer gegenseitigen Bereicherung zu führen.In den Beiträgen der drei Sektionen Linguistik, Didaktik und Übersetzung sowie in der Postersession wurde unterschiedliche Bereiche innerhalb der Sprachwissenschaft behandelt. Neben dem "klassischen" Forschungsgebiet einer Auslandsgermanistik - Erwerb und Didaktik der Fremdsprache - sind verschiedene Themenschwerpunkte nicht-angewandter Sprachwissenschaft untersucht worden. Erwähnenswert erscheinen in erster Linie Satzsemantik, Textlinguistik und Varietätenforschung.

Ohne im Detail auf Forschungsinhalte einzugehen, sei hier lediglich hervorgehoben, dass viele dieser Untersuchungen einen spezifischen, originellen Zugang zu den von ihnen behandelten Themen aufweisen. Zum einen ist eine kontrastive Perspektive verbreitet (der fremde Blick führt bekanntlich oft zu neuen Erkenntnissen). Zum anderen spielt der fremdsprachendidaktische Gesichtspunkt eine entscheidende Rolle. So werden bevorzugt diejenigen Phänomene behandelt, die eine Lernschwierigkeit oder Fehlerquelle darstellen. Auf diese Weise werden Aspekte untersucht, die durchaus theoretische Relevanz besitzen, aber vielleicht wenig Beachtung in der übrigen Germanistik gefunden haben. Schließlich hat es auf der Tagung ein Plenar-Forum für Mitteilungen gegeben, auf dem u.a. zwei Zeitschriften ("daf-werkstatt", Universität Siena; "per voi", Goethe-Institut Rom) sowie eine neuerschienene, auf das italienische Publikum zugeschnittene Einführung in die Deutsche Sprachwissenschaft vorgestellt wurden ("La linguistica tedesca". Roma: Bulzoni, 2004). Des Weiteren hat Eva Neuland, Vorsitzende des Beirats Germanistik des DAAD, deutsch-italienische Kooperationsmöglichkeiten auf wissenschaftlichem und didaktischem Gebiet vorgestellt. Die Tagung hat - gerade in Anbetracht einer immer noch relativ kleinen Forschungsgemeinschaft im Bereich "Deutsche Sprachwissenschaft" - eine positive Resonanz gefunden, die die Erwartungen weit übertroffen hat. Außer den aktiven Teilnehmern (Vorträge/Postersession) sind als Zuhörer - aus ganz Italien - nicht nur zahlreiche Hochschullehrer, sondern auch Lehrbeauftragte, Doktoranden, Lektoren sowie sprachlich interessierte "Laien" gekommen. Die Tagung hat von ihrem Interesse und ihrer Begeisterungsfähigkeit gelebt, so dass ein notgedrungen doch sehr dichtes und anstrengendes Programm erfolgreich zu Ende geführt werden konnte. Die endgültige Bilanz dieser Tagung wird durch die Tagungsakten gegeben sein, die nächstes Jahr in einer Reihe des Istituto Italiano di Studi Germanici erscheinen.

Die Tagung "Deutsche Sprachwissenschaft in Italien" soll fortan alle zwei Jahre stattfinden: Das nächste Treffen ist also in Rom für Februar 2006 fest geplant. Durch diese regelmäßig durchgeführte Initiative - so hoffen die Veranstalter - wird nicht nur eine Wissenschaftsdisziplin gefestigt, sondern über den universitären Rahmen hinaus ein Beitrag dazu geleistet, durch aktuelle Forschung den konkreten Sprachunterricht in Italien zu verbessern und allgemein das Interesse für die deutsche Sprache hoch zu halten.

Claudio Di Meola
Inhaber des Lehrstuhls für Deutsche Sprachwissenschaft
an der Facoltà di Lettere e Filosofia der
Universität Rom "La Sapienza"

 

AsKI KULTURBERICHTE 1/2004

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