Der "Afrikanische Stuhl" - ein Schlüsselwerk des frühen Bauhauses

Bauhaus-Archiv - Museum für Gestaltung

Bauhaus Archiv - Museum für Gestaltung    Foto: Werner Huthmacher

Neuerwerbung des Bauhaus-Archivs / Museum für Gestaltung, Berlin

Anfangsphasen haben schon immer besonderes Interesse hervorgerufen. Nirgendwo ist der Abstand zu allem davor Liegenden greifbarer zu spüren, zeigen sich deshalb Brüche und Kontinuitäten konturenschärfer, wird das Verhältnis zur Vergangenheit und der Anspruch an die zukünftige eigene Arbeit klarer formuliert.

Der Wille zum Neuen und Anderen lässt Entwicklungslinien abrupt abbrechen, und an einzelnen, fast isoliert auftretenden künstlerischen Äußerungen sind die Divergenzen deutlich auszumachen. Dies gilt in besonderem Maße auch für das Bauhaus. Arbeiten aus seinen ersten Jahren lassen die Umbruchsituation stärker spüren als ,klassische' Produkte wie die Jucker/Wagenfeld-Lampe, aus denen Gropius durch seine äußerst geschickte Pressearbeit das heute noch unangefochten gültige Bild des Instituts in der Öffentlichkeit formte.

Eines der interessantesten Objekte aus dieser Frühzeit ist der sog. "Afrikanische Stuhl", vom Tischlerlehrling Marcel Breuer und der Weberin Gunta Stölzl 1921 gemeinsam gestaltet. Der aus Eiche hergestellte, in Bemalung und Bespannung starkfarbige Stuhl löst beim Betrachter auch heute noch Assoziationen aus, wie sie mit seinem Titel umschrieben werden - er ist also perfekt gewählt, doch sagt er über seine ursprüngliche Bestimmung nichts aus. Für die Nutzung zur Entstehungszeit lassen sich eine Reihe von möglichen Verwendungszwecken erschließen: So kann dieser Stuhl als "Thron" für den Bauhaus-Direktor gedient haben, in seiner von ihm formulierten Rolle als Meister einer Bauloge, als die sich das frühe Bauhaus verstand. Ein zeremonieller Thron für den Großmeister der Bauhaus-Gemeinschaft ist deshalb eine Vorstellung, die nach allen bekannten Quellen durchaus plausibel scheint, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass man auf dem "Afrikanischen Stuhl" nur protokollarisch-korrekt aufrecht sitzen kann; eine entspanntlässige Sitzhaltung ist auf ihm nicht möglich. Ein weiteres Indiz dafür könnte sein, dass er bei den ursprünglichen Besitzern als ,Gropius-Stuhl' bezeichnet wurde. Die thronartige Ausbildung könnte auch auf die in der klassischen Architekturtheorie zu findende Vorstellung der Architektur als der Mutter aller Künste verweisen, mit dem Architekten als Anführer und Organisator - eine Rolle, in der sich Walter Gropius zeitlebens gerne sah.

Nicht von der Hand zu weisen ist aber auch die Interpretation dieses Möbels als einer Art Hochzeitsstuhl, der damals engen Beziehung von Marcel Breuer und Gunta Stölzl Ausdruck verleihend. Breuer und Stölzl haben über ihre damalige Beziehung stets Stillschweigen gewahrt. Die von Breuer später gefundene Bezeichnung ist auch deshalb so perfekt, als sie keine persönlichen Reminiszenzen zulässt und die Assoziationen in begriffliche Bahnen lenkt.

Mit dem Aufkommen der Bauhaus-Maxime "Kunst und Technik - eine neue Einheit" ab 1923 wird der Stuhl zum Symbol für eine Epoche der Bauhaus-Geschichte, die man meinte, hinter sich gelassen zu haben - er wurde deshalb in das der Öffentlichkeit präsentierte Bild des Instituts nicht aufgenommen. Wie kein anderes Objekt zeigt er aber nicht nur die verschiedenen Vorstellungswelten, die am frühen Bauhaus nebeneinander gepflegt wurden, sondern er muss als Symbol für das Denken und Arbeiten in der Anfangsphase gesehen werden. Hierin liegt der besondere Rang dieses Stuhles für die Geschichte nicht nur des frühen, sondern des gesamten Bauhauses.

Lange Zeit existierte von dem "Afrikanischen Stuhl" nur ein Foto in schwarz/weiß, der "Thron" selbst galt 80 Jahre als verschollen. Mit wesentlicher Unterstützung des Ernst von Siemens Kunstfonds konnte nun dieses wichtige Exponat für die Sammlung des Bauhaus-Archivs/Museums für Gestaltung gesichert werden.

Christian Wolsdorff
Wissenschaftlicher Mitarbeiter des
Bauhaus-Archivs/Museums für Gestaltung, Berlin

 

AsKI KULTURBERICHTE 2/2004

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