Das Literaturmuseum der Moderne zeigt sich: Architekt David Chipperfield übergibt den Neubau an die Deutsche Schillergesellschaft

Das Literaturmuseum der Moderne in Marbach, Foto: Valentin Wormbs, Stuttgart

Nur wer sich nähert, sieht es ganz. Fast unscheinbar schmiegt sich das neue Literaturmuseum der Moderne in den Hang neben dem Marbacher Schiller-Nationalmuseum.

Im Inneren des Museums indes eröffnen sich ungeahnte Dimensionen: Verglaste Loggien, elegante Treppen und rund 1.000 qm Ausstellungsfläche in sechs Räumen. In ihnen werden vom 6. Juni 2006 an die reichen Bestände des Deutschen Literaturarchivs zur Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts gezeigt.

21 Monate hat es gedauert, bis das Museum fertig war, rund 11,8 Millionen Euro hat es gekostet. Anfang Januar 2006 wurde es vom britischen Architekten David Chipperfield und seinem Projektarchitekten Alexander Schwarz an die Deutsche Schillergesellschaft übergeben. Gratulanten waren u.a. der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger und Ministerialrat Dr. Horst Claussen, der den Beauftragten für Kultur und Medien bei der Bundeskanzlerin vertritt.

Weit blickt der Besucher von der Terrasse des Museums ins Neckartal. Der Weite der Landschaft setzt das Museum die Tiefe seiner Räume entgegen: Vom Eingangspavillon aus, der auf der Terrassenlandschaft des Sockelgeschosses steht, gelangt der Besucher über die fließenden Loggia-, Foyer- und Treppenräume hinunter in die Ausstellungsräume des Sockelgeschosses. Dabei wird er allmählich von der Tageslichtatmosphäre auf jene dunkle Kunstlichtatmosphäre vorbereitet, die für die fragilen Exponate notwendig ist. Die Raumfolge der mit brasilianischem Îpe-Holz verkleideten Räume wird um verglaste Tageslichtloggien ergänzt: Sie setzen die Welt der Exponate mit dem Außenraum in Beziehung. Ein reduziertes und klares Materialkonzept, das mit massiven, alterungsfähigen Materialien arbeitet (glatt geschalter Ortbeton, sandgestrahlte Betonfertigteile mit Muschelkalksplitt als Aggregat, Muschelkalk, Holz, Filz, Glas), verleiht der ruhigen rationalen Architektursprache eine ungewöhnliche sinnliche Präsenz.

Vom 6. Juni 2006 an können die Besucher der Marbacher Schillerhöhe dann das "Mirakel Marbach" in der Dauerausstellung des Literaturmuseums der Moderne erleben: Auf rund 600 Quadratmetern führt die Ausstellung in die Literatur des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart ein und zeigt bedeutende Stücke aus den über 1.200 Schriftsteller- und Gelehrtennachlässen des Archivs: die Manuskrip te von Kafkas "Proceß", Döblins "Berlin Alexanderplatz" und Heideggers "Sein und Zeit", Gedichthandschriften von Hofmannsthal, Rilke, Benn und Celan, Briefe von Hesse, Thomas Mann, Sarah Kirsch und Arno Schmidt, aber auch Abiturzeugnisse, Identitätsausweise und Notizbücher, historische Tonaufnahmen, Kleidungsstücke und Totenmasken, private Fotoalben und Bibliotheken der Dichter.

Im größten der drei Dauerausstellungsräume werden die "Schätze des Archivs" in ihrer Fülle präsentiert. Die Kuratoren, Dr. Heike Gfrereis, Dr. Roland Kamzelak und ihr Team, haben über 1.300 Objekte aus den Beständen des Marbacher Archivs zum 20. und 21. Jahrhundert ausgewählt. Sie werden diese Objekte des Archivs im größten Dauerausstellungsraum in ihrer Fülle und Masse präsentieren und mit ihnen verschiedene Wege durchs 20. Jahrhundert legen. Was bleibt in einem Archiv übrig von der Literatur der Moderne und von den Menschen des 20. Jahrhunderts? Von Stilen und Strömungen, Erfolgsautoren, Lieblingsbüchern, ersten und letzten Sätzen, Erfindungen, Katastrophen, persönlichen Erlebnissen? Neben diesem materialreichen gläsernen Archiv, das die Besucher mit einem individuell einstellbaren multimedialen Museumsführer entdecken können, der auf Wunsch Handschriften transkribiert, Objekte erläutert oder auch verschiedene Führungen anbietet, gibt es einen Raum, der ohne Archivalien auskommt. Hier können die Besucher Textstellen aus der deutschen Literatur ,angeln' und sich von interaktiven Lesemaschinen decodieren lassen. Der dritte Dauerausstellungsraum wird sein Gesicht alle drei bis vier Monate ändern. Prominente Kuratoren - Autoren, Künstler, Personen des öffentlichen Lebens - stellen hier ihre Literatur der Gegenwart und ihre Funde aus dem Archiv vor.

In den Wechselausstellungsräumen des Museums werden Ausstellungen aus den Beständen des Archivs ganz unterschiedlicher Thematik und Größe gezeigt.


Sommerabend auf der Schillerhöhe
Im Anschluss an die offizielle Eröffnung des Museums am 6. Juni 2006 mit Bundespräsident Horst Köhler findet um 20 Uhr ein Sommerfest im Freien auf den Museumsterrassen statt.
Vom 7.-9. Juni 2006 ist die Besichtigung des Museums nur mit Anmeldung und Führung möglich, gegen einen Unkostenbeitrag von 3 Euro pro Person (museum@dla-marbach.de, Tel. 07144-84 86 16), danach zu den regulären Zeiten: tägl. außer montags v. 10-18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr.

 

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