Das Barocke Universum Gotha: Schloss Friedenstein zeigt seine Schätze in neuem Licht

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Schloss Friedenstein, Südseite, Foto: SSFG, Lutz Ebhardt

Eigentlich ist es zu groß, um sich zu verstecken. Schloss Friedenstein, ein weißer Riese von stolzen 100 mal 140 Metern, blieb trotzdem lange Zeit im Verborgenen. Nun aber brodelt es über Gotha und zwischen der Wartburg und Weimar entsteht in Thüringen ein neuer Kulturmagnet, der ganz zu Recht als „Barockes Universum“ bezeichnet wird.

Am Anfang stand Ernst I., der Fromme, von Sachsen-Gotha, der 1640 Gotha erbte und auf den Ruinen der Burg Grimmenstein zwischen 1643 und 1656 sein Schloss Friedenstein errichten ließ. Der Name war am Ende des 30-jährigen Krieges Programm. Ernst baute ein „protestantisches Escorial“ (wie Reinhold Schneider später schrieb), begann mit der Schlosskirche und umgab das Schloss mit einer gewaltigen Befestigung, die erst 1780 zugunsten des Parks geschleift wurde. Seine Nachfolger waren liberal und dem Fortschritt zugewandt wie er, sammelten Schätze und huldigten der Kunst und Wissenschaft.

Im Wesentlichen blieb das Schloss-Ensemble über die Jahrhunderte hinweg unverändert und unversehrt, und so kann man in Gotha heute die größte frühbarocke Schlossanlage Deutschlands bewundern, in der sich Archiv, Bibliothek, Prunkräume aus der Zeit um 1710, Gemächer aus der Zeit des Klassizismus und ein Hoftheater mit funktionierender Bühnenmaschinerie von 1683 erhalten haben; und weitestgehend auch die aus der Kunstkammer hervorgegangenen Sammlungen, die ägyptische Altertümer, Antiken, eines der größten deutschen Münzkabinette, altdeutsche Meister (darunter das „Gothaer Liebespaar“, Dürer, Schongauer und allein 23 Cranachs), eine Niederländer-Sammlung, Porzellan aus Meißen, Gotha, Asien, 22 Plastiken von Jean-Antoine Houdon, Werke von Rubens und Caspar David Friedrich beinhalten und bald auch wieder ein komplettes Naturalienkabinett bieten. Außerdem gibt es ein Historisches Museum im Schloss und ein Museum der Natur, das sich nur kurze Zeit noch im prächtigen, 1879 fertig gestellten Gebäude des Herzoglichen Museums befinden wird. Nicht zu vergessen sind die bezaubernde Orangerie mit Sommerschloss, einer der ältesten Englischen Gärten auf dem Kontinent und ein Tannengarten des 19. Jahrhunderts, die das Schloss inmitten der Stadt mit einem breiten grünen Gürtel umfangen.

Meister des Amsterdamer Kabinetts – Gothaer Liebespaar um 1485, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Bis 1945 war all dies wohlbekannt, und zwar weltweit. Noch heute kommen die meisten Leihanfragen aus dem Ausland, wo der wissenschaftliche Atem länger oder die benutzte Literatur älter zu sein scheint. In Deutschland (West) aber vergaß man Gotha, wusste nichts mehr von den Sammlungen und den berühmten Besuchern wie Voltaire, der 1753 fünf Wochen im Schloss weilte und vom „Tempel der Grazien, der Vernunft, des Geistes, der Wohltätigkeit und des Friedens“ schrieb oder Goethe, der dutzende Male die herausragende Bibliothek benutzte und gerne mit dem Herzog naturwissenschaftliche Fragen erörterte. Gründe für dieses Vergessen gibt es mehrere: 1945 wurden die zu gut dokumentierten Kunstsammlungen von einer russischen Trophäenkommission nach Russland abtransportiert, manches Kunstgut kam in dieser wirren Zeit auf anderen Wegen abhanden. Als große Teile der Sammlung 1956 und 1958 von der UdSSR zurückgegeben wurden, hatte man im Museumsgebäude längst allein die naturkundlichen Sammlungen untergebracht. Die Kunst wanderte ins Schloss, wo sie sich mit dem Prunk der Räume um die Aufmerksamkeit der Besucher stritt. Nach der „Wende“ dann war die kleine Stadt mit dem großen Schloss vielleicht überfordert. Erst 2004 gab man das Gebäude an die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, gründete für die in drei Museen verwahrten Sammlungen die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. Die Bibliothek gehört zur Universität Erfurt, das Archiv dem Freistaat Thüringen.

2007 legte die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha unter neuer Leitung das Konzept „Barockes Universum Gotha“ zur Umstrukturierung der Gothaer Museumslandschaft vor. Bund, Freistaat und Stadt sagten 20 Millionen Euro zur Errichtung eines Magazins (Perthes-Forum Gotha) für alle Einrichtungen (Bibliothek, Archiv, Museen) des bis unters Dach vollgestapelten Schlosses und die Sanierung des Herzoglichen Museums zu, das 2012 als Kunstmuseum neu eröffnet werden wird. Das Schloss wird ebenfalls neu gedacht: Der Zugang wird verändert, ein Aufzug eingebaut. Der künftige Rundgang wird der Logik der Residenz folgen.

Der Besucher wird das Schloss dann betreten wie einst der Herzog. Er sieht zunächst das herzogliche Appartement, die Vorzimmer, das Audienzzimmer, die Privatgemächer. Über das Appartement der Herzogin erreicht er den Festsaal, sieht die Kunstkammer in den ehemaligen Erbprinzengemächern und geht über die Ahnengalerie bzw. die klassizistischen Gemächer in den Westturm, wo in Zukunft als Pendant zur Kunstkammer das Naturalienkabinett erstehen wird. Mit dem Besuch im Ekhof-Theater, dem Kleinod des Schlosses, endet der Rundgang – und der Gast hat noch drei Museen vor sich: das Museum der Natur mit seinen umfangreichen naturkundlichen Sammlungen, das Historische Museum Gotha (jetzt: Museum für Regionalgeschichte und Volkskunde) und eben das Herzogliche Museum mit den Kunstsammlungen. Einiges davon ist noch Zukunftsmusik, aber die Umstrukturierung ist in vollem Gange und die Besucher tragen den Veränderungen Rechnung. Kamen 2008 ca. 107.000 Besucher so werden es bis zum Jahresende 2010 ca. 200.000 sein.

Johann Melchior Dinglinger, Elefant als Briefbeschwerer, um 1710, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Foto: Lutz Ebhardt

Zum Renner hat sich die Kunstkammer entwickelt, deren Auftakt ein Saal bildet, der in seiner überbordenden Fülle eine barocke Kunst- und Wunderkammer imitiert. Vom Kirschkern mit dem Porträt Ernsts des Frommen, über Schachbretter aus Elfenbein, einer mixtekischen Vogelmaske, Specksteinfiguren aus China und Gemälden Gothaer Herrscher bis hin zu einem Reitzeug aus Türkisen als Geschenk eines Zaren und Kokosnuss-Pokalen ist hier alles zu finden, was das herzogliche Sammlerherz begehrte. Die nächsten Räume aus dem 18. Jahrhundert mit historischen Intarsienfußböden und Stuckdecken zeigen Highlights der Sammlungen in außergewöhnlichen Vitrinen. An den schlichten Wänden aufgehängt, bergen sie gut ausgeleuchtete Kostbarkeiten und strahlen ihr Licht zugleich auf Boden und Decken ab. Hier sind Besonderheiten wie der berühmte „Dinglinger Elefant“ zu finden, Willkomm-Pokale aus Gold und Silber in Form eines Hasen oder einer Henne, kostbares Email, Bernstein-Altäre, Pokale aus Elfenbein, gefasste Nautilusmuscheln, aber auch Kuriositäten wie der alte Stiefel eines Kurfürsten, der seine Kurwürde und seine Stiefel verlor, von denen einer heute in Madrid aufbewahrt wird und der zweite über den Umweg über die Münchner Kunstkammer wieder nach Gotha gelangte. Da sind ein originaler Hut Napoleons, den Herzog Emil August von Sachsen-Gotha-Altenburg vom Kammerdiener des Kaisers gegen ein goldenes Medaillon erhielt, außergewöhnliche Wachsporträts aus dem 17. Jahrhundert, Reliefs aus Holz und Wachs von höchster Güte. Insgesamt ein unglaublicher Fundus an diesem überraschenden Ort.

Die Stiftung Schloss Friedenstein hat auch ihre Ausstellungspolitik verändert. Statt drei großer Ausstellungen der drei Einzelmuseen wie bisher werden künftig vermehrt Präsentationen gezeigt, die den Reichtum aller Sammlungen des Schlosses spiegeln. 2010 stellt „Anatomie – Gotha geht unter die Haut“ zwei Stücke aus eigenem Bestand (ein menschliches Präparat von 1723 und der „Muskelmann“ Houdons) in den Mittelpunkt einer Diskussion über den Zusammenhang von Medizin und Kunst. 2011 geht „Elefantastisch! – Gotha ganz groß“ auf die Vorliebe Gothas für Elefanten in Kunst, Natur und Forschung ein. Es wird dabei nicht nur mit den Einrichtungen vor Ort kooperiert, auch mit der Klassik Stiftung Weimar ist ein langfristiges Forschungs- und Ausstellungsprojekt in Aussicht genommen. Langsam wird der Bedeutung des Ortes Rechnung getragen. So hat die Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen 2009 die Stiftung zum ständigen Gast ihrer Runde erklärt, der Bundespräsident im Herbst 2010 das Schloss mit 200 Botschaftern besucht.

Nach Jahren der Zurückgezogenheit macht Gotha von sich reden, wirbt mit dem Charme eines unentdeckten alten Ortes, der Jahr für Jahr Neues zu bieten hat. Schloss Friedenstein, das Barocke Universum Gotha, erwartet seine Gäste.

Roland Krisch

AsKI KULTUR lebendig 2/2010

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