Dankwort - Ursula Haeusgen

Guten Abend,
meine Damen und Herren, liebe Freunde,

Ursula Haeusgen - Dankwort bei der Maecenas-Ehrung 2015, Foto: © Dieter Lukas - Panobilder.deMaecenas ist ein großer Name und ich bin doch ein bißchen erschrocken, als mir diese Ehrung zuerkannt wurde. Ich – ein Mäzen? Auf diese Idee wäre ich nie gekommen.

Ich habe das Lyrik Kabinett von Anfang an mit – ja - Leidenschaft betrieben, und der mäzenatische Aspekt war mir wohl deshalb lange nicht bewußt. Auch dann nicht, als ich die Stiftung gründete – sie erschien mir einfach notwendig, um das ursprüngliche Ziel ernsthaft weiterverfolgen zu können – nämlich der Dichtung, der Lyrik aller Zeiten und Sprachen hier bei uns, mehr Ansehen zu verschaffen. Und auch dem Buch, einschließlich des Künstlerbuches.

Damals, 1989 - ob es heute besser ist, weiß ich nicht so genau – damals jedenfalls fand man in Buchhandlungen Lyrik – wenn überhaupt – dann nur ganz hinten in einem staubigen Regal, und auch nur ein paar zufällige Bände. Sie stellten keine Verlockung dar für einen möglichen Käufer. Und auch eine Lyrik-Szene wie heute gab es meines Wissens nicht.

Warum sich die Lyrik sowohl damals als auch heute hierzulande so schwer tut, weiß ich nicht – es soll ja Länder geben, wo das anders ist. Aber sicher hängt es auch damit zusammen, daß kleinen Kindern nicht mehr so viel vorgelesen wird. Und dann in der Schule die Gedicht-Interpretation weckt auch nicht gerade Begeisterung für's Gedicht. Ich glaube, es ist die falsche Herangehensweise.

Erstaunlicherweise hat die Lyrik auch bei vielen Leuten immer noch ein Poesie-Album-Image oder sie ruft die Vorstellung von altmodischem und lächerlichem Pathos hervor. Sie wird von vielen nicht ernst genommen oder als unverständlich abgelehnt. Fragen Sie doch einmal bei einer Einladung einen anderen Gast, ob er Gedichte liest – und Sie werden vermutlich ein leichtes Befremden bemerken, was Ihnen bei der Frage nach dem letzten Bestseller nicht passiert.

Vor allem aber kommt die Lyrik unserem Nützlichkeitswahn und Informationsdrang nicht entgegen. Und auch nicht unserem Bedürfnis nach Unterhaltung und Ablenkung – nicht der wenigen Zeit, die wir haben bei dem Überangebot von Möglichkeiten, sie zu vertreiben.

Die vielen Poesie-Festivals und Performances sind, glaube ich, eine Reaktion darauf – aber auch ein erfolgreicher Slampoet wünscht sich am Ende meist ein Buch und eine Einzellesung. Die Lyrik-Szene ist heute – im Vergleich mit der vor 25 Jahren – sehr lebendig. Doch der Brückenschlag vom spezialisierten zum breiten Publikum mißlingt – wie Nora Bossong sagt - ein ums andere Mal.

Wie ursprünglich die Poesie aber zum Menschen gehört, merkt man sofort und immer wieder, wenn man sie Kindern und Jugendlichen nahebringt, die sie sofort verstehen und begeistert und vor allem kreativ auf sie reagieren.

Nun habe ich kürzlich in Zeit-Online einen Aufruf von Thomas Böhm gelesen, der u.a. bis 2010 die Programmleitung des Literaturhauses Köln innehatte – mit dem Titel „Reißt die Seiten aus den Büchern!" Und dem Untertitel: „Das Buch ist definitiv das falsche Medium". Er ist der Ansicht, daß Gedichtbände, im Vergleich mit Roman und Sachbuch, mit einer „Überdosis" daherkommen. Unter „Überdosis" versteht er hier: sprachlichen Überschuß, Irritation, Geheimnis, nutzvolle Nutzlosigkeit, unbezahlbaren Reichtum – das Wesen der Lyrik eben.

50 bis 60 Gedichte in einem Band sind in einer Welt, "die uns beständig abzulenken versucht", vielleicht zu viel für viele Leute – denn Lyriklektüre, das wiederholte Lesen eines Gedichts, erfordert eine einzigartige Form der Konzentration. Deshalb schlägt er vor, Gedichten den Status von Bildern, von Kunstwerken zu geben, sie – eventuell von einem Künstler gestaltet - in Galerien einzeln zu verkaufen oder in Postershops. Und sie an die Wand zu hängen, „sodaß sich je nach Lebenssituation plötzlich ganz neue Lesarten einstellen." Zudem wären Gedichte dann das Mißverständnis los, man müsse sie „verstehen" können anstatt sie lesend zu erfahren. Da ist was dran! Also: Da hat das Lyrik Kabinett noch einiges vor sich!

Trotzdem ist das Buch nicht das falsche Medium – denn so viele Wände wie es schöne Gedichte gibt, hat niemand. Und auch das Internet macht das Buch nicht überflüssig – ich denke, auf die Dauer werden sie sich aufeinander einspielen.

Das ursprüngliche Ziel bleibt also bestehen – nämlich der Lyrik Raum zu geben in all ihren Formen und einen Ort der Vermittlung darzustellen, um die Poesie auch einer größeren Öffentlichkeit näher zu bringen und zugleich ein Treffpunkt zu sein für Kenner und Liebhaber sowie für Studierende. Das ist ein großes Ziel, das eine kleine Institution wie das Lyrik Kabinett natürlich nicht allein erreichen kann – aber mithelfen kann es dabei – und das war meine Absicht.

Daß der Beitrag des Lyrik Kabinetts zu diesem Ziel nun eine solche Anerkennung und Ehrung erfährt, ist für mich und das ganze Team des Lyrik Kabinetts eine große Freude und ich danke dem Arbeitskreis selbstständiger Kultur-Institute sehr für diese Ehre – wenn sie mich auch ein bißchen verlegen macht - und für die wunderschöne Skulptur von Manfred Sihle-Wissle, die einen Ehrenplatzt in unserer Bibliothek erhalten wird.

Ich bin oft gefragt worden, wie um Himmels willen ich denn überhaupt auf die Idee gekommen sei, ausgerechnet ein Lyrik Kabinett zu betreiben. Diese Frage hat mich immer wieder überrascht und auch verunsichert – ich hatte immer das Gefühl, mich für eine unverständliche, jedenfalls irritierende Handlungsweise verantworten zu müssen. Ich selbst hatte mir diese Frage nie gestellt. Ich habe einfach immer gern Gedichte gelesen, weder systematisch noch ausschließlich – aber eben doch kontinuierlich. Dichtung war mir wichtig – sie hat mir etwas gegeben. Sie ist – wie Nicolas Born sagt - ein „Menschen-Sprach-Chor, der sich unentwegt, die ganze Geschichte hindurch, aufgebaut hat, in vielen Sprachen und über viele Membranen sich wie ein kosmischer Stoffwechsel unentwegt fortgesetzt hat."

Also gründete ich das Lyrik Kabinett.

Wenn es tatsächlich – wie es in der Begründung der Jury heißt – „zu einem Ort internationaler Strahlkraft" geworden sein sollte, „zu einem Ort, wo sich Autoren und Wissenschaftler zum Dialog mit jungen wie auch gestandenen Lyrik-Liebhabern begegnen" – dann kommt mir das wie ein kleines Wunder vor – das ich aber nicht bewirkt, sondern lediglich angestoßen habe – ein Ergebnis, das allerdings Sinn und Zweck des Lyrik Kabinetts aufweist.

Ich gründete das Lyrik Kabinett1989, zunächst als Buchhandlung für Poesie - die regelmäßige Veranstaltung von Lesungen gehörte von Anfang an mit zum Programm.

Als erster las Wolfdietrich Schnurre aus seinen Gedichten und nahm Stellung zu Adornos berühmten Diktum - dem er widersprach. Es waren viele Leute gekommen – damals gab es noch nicht so viele Lesungen und Veranstaltungen wie heute – besonders auch junge Leute – es war ein guter Anfang. Des weiteren lasen in dieser Reihe: Michael Krüger, Diana Kempff und H.C.Artmann. Das ist jetzt sechsundzwanzig Jahre her und seitdem gab es weit über 1.000 Lesungen und Veranstaltungen zur Poesie.

Nach einigen Umstrukturierungen und Wanderjahren hat uns Prof. Hendrik Birus, Mitglied des Kuratoriums des damaligen Lyrik Kabinett e.V. und Vorstand des Instituts für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität München, seine Seminarräume als Standort für die Bibliothek angeboten. Dieses Angebot habe ich angenommen – und ich habe es nicht bereut. – Nach einiger Zeit aber wurden die zwei Räume für die Bibliothek einfach zu klein. Und da es keine anderen Räume gab, mußte ich mich entscheiden: Mußte entweder den Gedanken einer lebendigen, immer weiter wachsenden Lyrik-Bibliothek aufgeben, oder aber eine andere Lösung finden.

Nach längerem Nachdenken und Familienrat habe ich mich entschlossen, eine Stiftung zu errichten, die als öffentliche, gemeinnützige Stiftung des Bürgerlichen Rechts vom Bayerischen Stiftungsgesetz anerkannt wurde. Der Verein wurde zum Freundeskreis, der konstant über die Jahre hinweg bis heute etwa 300 Mitglieder hat – und Sie alle sind herzlich dazu eingeladen, auch eines zu werden!

Unter diesen Umständen hat die Ludwig-Maximilians-Universität der Stiftung Lyrik Kabinett eine Dienstbarkeit bestellt für die Nutzung des Hinterhofes der Amalienstr. 83, eine Art Pachtvertrag auf 66 Jahre.
Auf dem Grundstück befand sich ein altes Atelierhäuschen in freilich sehr schlechtem Zustand, das jedoch in seinem baulichen Außenumriß bewahrt werden konnte. Dem Architekten des neuen Gebäudes, Henning Dickhoff, gelang es, Altes und Neues zugleich harmonisch und spannungsvoll zu verbinden.

Zur Eröffnung damals, am 3. März 2005, in der Aula der LMU, spielte Moritz Eggert zum ersten Mal im Rahmen des Lyrik Kabinetts und daß er heute wieder dabei ist, ist einfach wunderbar und ich bedanke mich bei ihm und Peter Schöne sehr, sehr, herzlich!

„Leider läßt sich eine wahrhafte Dankbarkeit mit Worten nicht ausdrücken" so Goethe an die Fürstin Gallitzin. Trotzdem:
Ein großer Dank geht, wie gesagt, an den Arbeitskreis selbstständiger Kultur-Institute, der mit der Organisation dieser Ehrung ganz schön zu tun hatte und ganz besonders an Herrn Dr. Fadani für seine liebenswürdige und kenntnisreiche Begrüßung.
Ich danke Frau Dr. Bias-Engels vom Staatsministerium für Kultur und Medien für ihre anerkennenden Worte. Sowie Herrn Dr. Küppers, dem Kulturreferenten unserer Stadt München, den wir alle schätzen.
Dir, lieber Michel, gebührt ein ganz besonderer Dank – für Deine Laudatio und das, was dahinter steht - Freundschaft, echte Liebe zur Dichtung und eine jahrelange, gute Zusammenarbeit.
Danken möchte ich an dieser Stelle auch Herrn Dr. Pils, der als Geschäftsführer der Stiftung Lyrik Kabinett neue Akzente gesetzt hat und setzt und doch das Lyrik Kabinett im alten Sinne weiterführt in eine neue Zukunft.
Sowie Maria Gazzetti, die heute Abend auch hier ist.
Und natürlich dem Team des Lyrik Kabinetts, ohne das gar nichts ginge und von dem fast alle schon sehr, sehr lange und mit Begeisterung dabei sind.
Ich danke Vorstand und Kuratorium der Stiftung und allen, die uns mit Spenden, Rat und Tat unterstützt haben.
Und ich danke Ihnen allen von ganzem Herzen, daß sie mir zuliebe heute alle hierher gekommen sind – und möchte zum Schluß nur noch ein paar Worte zur Bibliothek sagen:

Eine Bibliothek, meine Damen und Herren, ist ja nicht einfach eine Ansammlung von Büchern. Sondern ein Universum – so sagt jedenfalls Jorge Luis Borges. Der Mensch aber ist ein unvollkommener Bibliothekar.

„Wenn die Regierung ... anerkennen würde, daß der Aufbau einer persönlichen Bibliothek für Ihr Innenleben so wesentlich ist wie ein Geschäftsessen für Ihr Berufsleben, dann könnten diejenigen, die Lyrik lesen, schreiben oder veröffentlichen, Steuerermäßigungen erhalten". Dieser Vorschlag von Joseph Brodsky wurde leider bisher nicht ernstlich erwogen.
Für Brodsky finden in der Lyrik Okzident und Orient, Rationalität und Intuition, Analyse und Synthese zusammen zur poetischen Erkenntnis der Welt. Für Brodsky ist Lyrik die einzig verfügbare Versicherung gegen die Vulgarität des Herzens.

In seiner berühmten Rede in der Library of Congress 1991 sagt Brodsky, daß „die uns vorangegangene Lyrik im wesentlichen unser Genpool ist. Das verlangt nicht nach Ehrerbietung, sondern erfordert Bezugnahme."
Diese Bezugnahme mit zu ermöglichen durch Bibliothek und Lesungen sieht das Lyrik Kabinett als seine Aufgabe an. - Ich danke Ihnen.

.

xxnoxx_zaehler