Casa di Goethe, Rom: Die Lady und die Künstler. Eine Ausstellung in Rom erinnert an Emma Lady Hamilton

Plakat zur Ausstellung in der Casa di Goethe

„Ihre Geschichte hat den Roman auf seinem eigenen Felde geschlagen", schrieb Theodor Fontane über Lady Hamilton, und in der Tat hat diese ´Geschichte´ nicht wenige Roman-Autoren inspiriert – von Alexandre Dumas´ Souvenirs d´une favorite (1865) bis Susan Sontags The Vulcano Lover (1992).

Lady Emma Hamilton, Künstlerin und Künstlermuse, Star und femme scandaleuse war eine der prominentesten und zugleich umstrittensten Frauen ihrer Zeit. 1765 unter dem Namen Amy Lyon als Tochter eines Hufschmieds in der englischen Provinz geboren, kommt das Mädchen nach einer turbulenten Jugend an der Seite verschiedener Männer 1786 im Alter von 21 Jahren nach Neapel, wird dort die Geliebte, später die Ehefrau des britischen Botschafters Sir William Hamilton, bekannt in ganz Europa als Sammler antiker Vasen und Erforscher des Vesuv.

Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Bildnis Emma Hart als Sibylle, Öl auf Leinwand, 1789/1790, Klassik Stiftung WeimarMit ihren Attitüden, Tanz-Performances in schnell wechselnden Bildern nach antiken Vorlagen bezaubert sie im Palazzo Sessa (heute übrigens Sitz des neapolitanischen Goethe-Instituts) zahlreiche Besucher der kosmopolitischen Großstadt, einem Zentrum der Grand Tour. Goethe hat drei Mal ihren Aufführungen beigewohnt, „eine Abwechslung von Stellungen, Gebärden, Mienen etc. daß man zuletzt wirklich meint, man träume" und lässt sich durch sie für die Weimarer Liebhaberaufführungen „Lebender Bilder" inspirieren. Außerdem trat Emma als gefeierte Sängerin auf. Zu ihrem Repertoire gehörten Opernarien von Händel und Paisiello; Joseph Haydn wird später in Eisenstadt eine Kantate für sie komponieren und sie dabei eigenhändig am Klavier begleiten.

Emma Hart (wie sie sich jetzt nennt) wird in Neapel rasch zum gefragten Modell. Sir William, der ihre Karriere teilnehmend unterstützt, lässt im Palazzo Sessa einen eigenen painting-room für sie einrichten. Unter den Deutschen war es dabei vor allem Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, der „Goethe-Tischbein", der sich für ihre „klassische" Schönheit begeisterte, „eine Schönheit, die man selten siehet und die einzige, die ich in meinem Leben gesehen habe", wie er in einem Brief nach Deutschland schrieb. Emma wird sein wichtigstes Modell, in seinem Monumentalgemälde „Iphigenie erkennt Orest" trägt nicht nur Iphigenie, sondern auch Orest ihre – stets wechselnden – Züge.

Auch politisch macht das ehemalige Mädchen vom Land Karriere. Sie wird die Vertraute von Königin Maria Carolina von Neapel und intrigiert an ihrer Seite in den Koalitionskriegen gegen Napoleon. Sie wird die Geliebte von Lord Nelson, dem Sieger von Abukir und spielt 1799 an seiner Seite eine verhängnisvolle Rolle bei der blutigen Niederschlagung der „Republik von Neapel": Als Klopstock, der alte Republikaner in Hamburg davon erfährt, wird er die letzte Strophe einer Ode streichen, in der er Emma als „Zauberin" gefeiert hatte. Nach Hamiltons Abberufung aus Neapel und der Rückkehr nach England verdüstert sich Emmas Schicksal. Die ménage a trois wird zunehmend skandalisiert, Emmas Attitüden werden Objekte des Spottes auf Kupferstichen und Lithographien. Nach Nelsons Tod in der Seeschlacht von Trafalgar 1805 verarmt Emma mehr und mehr, kommt ins Schuldgefängnis und entzieht sich 1814 ihren Gläubigern durch die Flucht nach Calais. Dort stirbt sie vereinsamt 1815 im Alter von erst fünfzig Jahren.

Metamorphose der Bilder

Im Jahr 2015 jährt sich zum 250. Mal der Geburtstag und zum 200.Mal der Todestag von Lady Hamilton. Es war der Anlass, der Faszination nachzuspüren, die diese Frau auf ihre Zeitgenossen ausgeübt hat und die Bedeutung ins Licht zu stellen, die ihre Person und ihre Kunst für das neue, gesamteuropäische Stilideal des Klassizismus hatten. Mit ihren Attitüden, die zum Teil sehr genau pompejanischen „Tänzerinnen" aus den damals aktuellen Ausgrabungen am Vesuv nachempfunden waren, vermittelt und verlebendigt sie eine neue Erfahrung der Antike und damit auf ihre Weise und in ganz unmittelbarer Form Winckelmanns Maxime von der „Nachahmung der Alten". Damit wird sie – nicht schreibend, wie die Männer, sondern als darstellende Künstlerin – zu einer wichtigen Vermittlerin dessen, was den Zeitgenossen als „griechisches" Stilideal galt. Nicht zuletzt in ihrer erotischen Anziehungskraft und in der freizügigen Präsentation ihres Körpers schien ein antikes Lebens-

gefühl wieder auferstanden zu sein. Die leichte, fließende „griechische" Gewandung ihrer Auftritte wird zum Vorbild der Damenmode der Revolutionszeit. Ein Zeitalter, dessen höchstes Stilideal es war, wieder „wie die Griechen" zu werden, findet in Emma ihr Vorbild. Sie wird zur perfekten Ikone eines gelebten Klassizismus. Und in ihrer Darstellung mythologischer Figuren – einer Iphigenie, einer rasenden Bacchantin, einer Sibylle, einer Niobe – erweckt sie in einer Art „Pygmalion-Effekt" die antiken Gestalten wieder zum Leben.

Attitude der Lady Hamilton aus: 13 Kupfertafeln, gezeichnet von Friedrich Rehberg, gestochen nach Piroli von Schenk. Leipzig (Industrie-Comptoir) o.J. [um 1806]. Privatsammlung Oranienbaum, Foto: Kulturstiftung DessauWörlitzEs sind, neben den zahlreich kursierenden Berichten über Emmas Auftritte dann vor allem deren bildkünstlerische Darstellungen, die ihren Stil populär gemacht haben. Hatte Emma in ihren Tanz-Performances die antiken Figuren „erweckt", so „erstarren" diese jetzt erneut zu Kunstgestalten. Tommasi Pirolis Umrissradierungen ihrer Attitüden nach Zeichnungen von Friedrich Rehberg werden im Weimarer Journal des Luxus und der Moden ausführlich besprochen, zusammen mit Tischbeins Publikation von William Hamiltons zweiter Vasensammlung, Darstellungen in Umrissen im Geist einer „weißen Antike" auch sie. „Möchte doch unsere Damenwelt" – schreibt dort Carl August Böttiger - „durch die fleißige Betrachtung dieser Zeichnungen sich immer mehr davon überzeugen können, daß der zierlichste Putz in der größten Simplicität und in jener unnennbaren Grazie besteht, womit ein sehr einfaches Gewand, ein Schleier, ein Band mehr wirkt als die prunkvollesten Stoffe und kostbarsten Modeartikel aus London und Lyon".

Der Maler Georg Melchior Kraus greift dann sechs der dort vorgestellten Attitüdenmotive auf, überträgt sie in Aquarelle und appliziert diese auf Papiertapeten, die in einer Art Musterraum im Haus des Weimarer Unternehmers und Verlegers Friedrich Justin Bertuch für die neuen technologischen Möglichkeiten einer „modernen" Wandgestaltung mit Papiertapeten anstelle der kostspieligen textilen Bespannungen werben sollten. Es ist das Ende einer langen Reihe von Metamorphosen antiker Motive, die über ihre Transformation in Lady Hamiltons Attitüden schließlich in einen deutschen Salon der Goethezeit gelangen. Die Wiederauffindung der Kraus´schen Tapetenbilder verdankt sich übrigens der Initiative dieser Ausstellung, in der sie auch zum ersten Mal gezeigt werden; Margarete Oppel und Dorothee Proft rekonstruieren dazu die Geschichte des Bertuch´schen Bilderkabinetts in einem Beitrag im Begleitband.

Von Rom nach Wörlitz

In der Casa di Goethe, der römischen Wohnung des Weimarer Dichters während seiner Italienischen Reise 1786/88, gastiert die Ausstellung an einem beziehungsreichen Ort: Goethe war einer der ersten Bewunderer der Verwandlungskünste von Emma. Als er sie zusammen mit seinem römischen Wohnungsgenossen Johann Heinrich Wilhelm Tischbein auf der gemeinsamen Reise nach Neapel im Frühjahr 1787 kennenlernte, war sie erst ein knappes Jahr zuvor nach Neapel gekommen, war damals noch „Hamiltons Schöne" (Goethe), bevor sie Sir William 1791 heiratete. Goethe mochte seine Skepsis gegenüber der selbstbewussten jungen Frau und Künstlerin nicht verbergen, er vermisste deren inneren Werte, sieht am Ende in ihr doch nur „ein geistloses Wesen"; in den Wahlverwandtschaften wird er ihr in der Figur der Luciane ein wenig schmeichelhaftes Denkmal setzen. Auch Herder, der Emma 1789 kennenlernte, musste sich gegen ihre starke erotische Ausstrahlung zur Wehr setzen, nennt sie in einem Brief an seine Frau Caroline wenig charmant (und mit den üblichen Anstandspünktchen) „Hamiltons H...[ure]". Vollkommen selbstverständlich und ohne irgendwelche gesellschaftlichen oder moralischen Vorurteile geht hingegen Herzogin Anna Amalia mit der Situation der libertären Beziehung um (was in einem analogen Fall im kleinen Weimar undenkbar gewesen wäre). Als sie sich 1789/90 für mehr als ein Jahr in Neapel aufhält, ist der Palazzo Sessa eine bevorzugte Adresse der Weimarer Hofgesellschaft. Die Ausstellung dokumentiert die Beziehung Anna Amalias zu der „lieben Emma" in der Präsentation mehrerer neapolitanischer Erinnerungsstücke aus dem Nachlass der Herzogin, darunter der Publikation einer Reihe von unveröffentlichten Briefen im Begleitband.

Auch Wörlitz, die zweite Station der Ausstellung, ist vielfältig mit dem neapolitanischen Kosmos um Sir William Hamilton verbunden. Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt Dessau, der Schöpfer des Wörlitzer „Gartenreichs", hatte auf seiner Grand Tour 1765/67 William Hamilton kennengelernt. Tief beeindruckt von dessen „entschiedener Neigung für die schönen Künste und das Studium der Naturgeschichte" ließ der Fürst nach seiner Rückkehr im Wörlitzer Park eine neapolitanische Ideallandschaft gestalten, gekrönt zu Ehren des Vulkanforschers Hamilton von einem künstlichen Vesuv (der seit 2005 wieder temporär aktiviert wird). Daneben steht eine Replik von Hamiltons „Villa Emma" am Ufer des Posillipo (auch sie seit 2012 wieder restauriert), in ihrer Inneneinrichtung ein einmaliges klassizistisches Ensemble im pompejanischen Stil.

Dieter Richter

Prof. Dr. Dieter Richter ist Autor verschiedener Bücher
über Neapel und Kampanien und war Kurator
mehrerer Ausstellungen in Deutschland und Italien


Begleitband

Kuratiert wird die Ausstellung von Dieter Richter (Bremen) und Uwe Quilitzsch (Dessau), die auch den im Verlag Michael Imhof erscheinenden ästhetisch anspruchsvollen und forschungsintensiven Begleitband herausgeben, der die Faszination des Themas auch einem größeren Leserkreis nahebringen möchte. Er ist durchgehend zweisprachig und versammelt kunsthistorische Beiträge (u. a.von Ulrike Ittershagen und Hermann Mildenberger) neben historischen Essays, darunter einem Beitrag von Friederike Hausmann zur politischen Rolle von Lady Hamilton und einem Essay von Carlo Knight, dem angesehenen „Doyen" der neapolitanischen Historiker zu Sir Williams Lebensumständen. Der neapolitanische Klassizismus des Dessauer „Gartenreichs" kommt in einem Beitrag von Uwe Quilitzsch aus Wörlitz in den Blick. Der Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach reflektiert über den bleibenden Traum, dass Bildwerke noch einmal lebendig werden und zwei bildende Künstler, Moritz Götze aus Halle und Ella Vinke aus Neapel präsentieren ihre Ansichten von Lady Hamilton. Eine Besonderheit des Begleitbands ist schließlich ein Dokumentarischer Teil mit unbekannten Briefen der historischen Protagonisten, darunter auch von Emma Hamilton selber.


Lady Hamilton. Eros und Attitüde

Schönheitskult und Antikenrezeption der der Goethezeit / Lady Hamilton. Eros e attitude. Culto della bellezza e antichità classica nell´epoca di Goethe.

  • Rom, Casa di Goethe, 25. September 2015 bis 17. Januar 2016
  • Wörlitz, Haus der Fürstin, 4. Juni bis 18. September 2016

AsKI KULTUR lebendig 2/2015

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