AsKI-Gemeinschaftsprojekt 2011/12

Special Delivery. Von Künstlernachlässen und ihren Verwaltern

Special Delivery - Von Künstlernachlässen und ihren Verwaltern - Teil II

Man muss sehr sorgsam sein bei der Auswahl seiner zukünftigen Witwe“, wird der Fotograf Heinz Hajak-Halke von seinem Nachlassverwalter zitiert*, denn gerade als Künstler war ihm bewusst, welche Bedeutung der umsichtigen Aufarbeitung und Bewahrung eines Nachlasses zukommt.

Diese Aussage, mit der die Autorin Asja Braune ihren Beitrag zu Bertolt Brecht eröffnet (s.u.), gilt, wenn man „Witwe“ durch Nachlassverwalter/in ersetzt, für alle Künstler, die ihr Werk der Nachwelt erhalten möchten.

Bereits in der letzten Ausgabe von „KULTUR lebendig“ wurde die aktuelle Publikation des AsKI „Special Delivery. Von Künstlernachlässen und ihren Verwaltern“ vorgestellt, am Beispiel der Nachlässe von Max Reger, Lovis Corinth, Felix Hartlaub, Mascha Kaléko, Richard Oelze und Marlene Dietrich (in der Reihenfolge ihrer Todesdaten).

Eingeleitet werden die insgesamt 13 Beiträge aus den Bereichen Literatur, Bildende Kunst, Musik und Film durch Ulrich Ott, der als ehemaliger Direktor des Schiller-Nationalmuseums und des Deutschen Literaturarchivs Marbach a. N. dazu prädestiniert ist, Künstlernachlässe zu thematisieren. In seinem Essay arbeitet er eine wichtige Beobachtung he-raus: Die besondere, jeweils ganz eigene Geschichte der vorgestellten Nachlässe spiegelt zugleich die Geschichte des 20. Jahrhunderts – fast alle Nachlässe sind vom 2. Weltkrieg, von Vertreibung und Exil betroffen. So auch die Nachlässe folgender Künstler:

Helene Weigel und Bertolt Brecht, Lidingö, 1939, Foto: Akademie der Künste, Berlin, Bertolt–Brecht–Archiv

Als Bertolt Brecht (1898–1956) überraschend stirbt, ist sein Testament ungültig, weil nicht unterschrieben. Und Helene Weigel, seine Witwe, kommt seinen Wünschen nicht nach, übergibt seinen umfangreichen Nachlass nicht der Akademie der Künste: Sie will auf die Brecht-Rezeption selbst direkten Einfluss nehmen.

Mit Beharrlichkeit besteht Helene Weigel als Nachlassverwalterin darauf, dass Brechts Werke weiterhin, wie von ihm nach dem Krieg festgelegt, zuerst im Westen bei Suhrkamp erscheinen und danach in einer wortgleichen Ausgabe beim Aufbau-Verlag im Osten. Suhrkamp ist für die Witwe die Garantie dafür, dass Brechts Werk unzensiert veröffentlicht wird – so auch den DDR-Behörden höchst Unliebsames, Kritisches, wie das Gedicht „Die Lösung“ aus den „Buckower Elegien“. Und nicht genug: „Me-ti. Das Buch der Wendungen“, das als Brechts Auseinandersetzung mit dem Marxismus gilt, wird bei Suhrkamp vom „Republikflüchtling“ Uwe Johnson betreut. Jede kleinste Veränderung in Auswahl und Text muss zunächst von Suhrkamp genehmigt werden. Welch politisch diskriminierende Abhängigkeit vom Westen! Und zugleich fordert die Weigel staatliche Gelder für den Aufbau eines unabhängigen Brecht-Archivs, des ersten Privatarchivs der DDR, dessen Kontrolle auch ihre Erben Barbara Brecht-Schall, Stefan Brecht und Hanne Hiob nicht aus den Händen geben werden. Mit einer Fülle von Original-Zitaten aus den Akten der Akademie der Künste dokumentiert Asja Braune, wie nachhaltig der Affront für die DDR-Behörden ist, die nie auf Brechts Werk direkt zugreifen können und die Weigel ständig bedrängen, ihre Einstellung zu ändern. Ihre hartnäckige Weigerung, das Archiv unter staatliche Kontrolle zu stellen, führt 1959 auch zum Bruch mit dem Archivleiter Hans Bunge und zu Problemen mit der wichtigsten Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann, die jedoch weiterhin verlässlich die Arbeiten für Suhrkamp erledigt.

Ein zähes Ringen – symbolisch auch für die Konfrontation der politischen Systeme der beiden Staaten –, aus der die kompromisslose Nachlassverwalterin Helene Weigel als Siegerin hervorgeht.


Den deutschen Expressionisten Georg Tappert (1880–1957) der Vergessenheit entrissen zu haben, ist das große Verdienst von Gerhard Wietek, dem ehemaligen Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums Schloss Gottorf und seiner Frau Amai Wietek.

Georg Tappert, dessen Werk noch lange nach seinem Tod in der Öffentlichkeit unbekannt ist, hat 1910 eine Schlüsselrolle gespielt bei der Gründung und Organisation der „Neuen Secession“. In den 20er und 30er Jahren gehört er zur künstlerischen Avantgarde in Berlin, was zwangsläufig unter den Nationalsozialisten zur Ächtung seiner Kunst als „entartet“ führt. Auch seine Professur, die er seit 1921 innehatte, verliert Tappert 1934 und erhält Mal- und Ausstellungsverbot. Er versteckt seine Gemälde im Kohlenkeller hinter einer Brikettwand; das Versteck wird erst 1961 geöffnet, mit überraschenden Funden.

Ende der 1950er Jahre lernt Gerhard Wietek Annalise Tappert, die Witwe des Künstlers in Berlin kennen. Mehr als 40 Jahre wird er sie fortan bei der Pflege des Nachlasses unterstützen und ihre Interessen nach außen vertreten. Wietek wird zum besten Kenner des Werkes von Tappert, er erarbeitet ein Werkverzeichnis der Gemälde mit einer Monographie des Künstlers (1980) und eines der Druckgraphik (1996).

Kurz nach dem Tode von Annalise Tappert wird der Nachlass ihres Mannes (ursprünglich sollte er Amai Wietek vermacht werden) in die seit 2003 rechtsfähige „Georg Tappert-Stiftung“ im Schloss Gottorf eingebracht: mehr als 200 Gemälde, fast das ganze druckgraphische Werk, ca. 5.000 Zeichnungen, deren Inventarisierung und wissenschaftliche Erschließung die Autorin des Beitrags Gesa Bartholomeyczik von 2000–2006 besorgt, sowie Negative seines fotografischen Werkes. In der Schausammlung der Klassischen Moderne von Schloss Gottorf befinden sich die Arbeiten von Georg Tappert – laut Wietek einer der „Wegbereiter der Moderne“ – jetzt in der Gesellschaft seiner Weggenossen: der Künstler der „Brücke“.


In seinem Beitrag beschreibt Arie Hartog den Weg des Gerhard-Marcks-Hauses von einem Einkünstlermuseum hin zu einem Museum für moderne und zeitgenössische Bildhauerei, in dem heutzutage nicht nur Klassiker wie Barlach, Maillol, Giacometti und der Namensgeber gezeigt werden, sondern auch jüngere Künstler vertreten sind.

Seit den frühen 1930er Jahren gilt Gerhard Marcks (1889–1981) als bedeutender deutscher Bildhauer, dessen Werk jedoch lange keine Würdigung in einer wissenschaftlichen Publikation findet. Erst 1969 wird in Bremen die Gerhard-Marcks-Stiftung gegründet, vo-rangetrieben durch den Kunsthändler Rudolf Hoffmann, der bei der Vermarktung von Marcks’ Werk eine wesentliche Rolle gespielt hat; die Freie Hansestadt Bremen verpflichtet sich, die Stiftung finanziell zu tragen. Zwei Jahre später wird das Gerhard-Marcks-Haus in der ehemaligen Ostertorwache eröffnet, als direkter Nachbar der Kunsthalle Bremen. Der Schwerpunkt liegt in den ersten Jahren auf der Herausgabe des Werkverzeichnisses – es erscheint 1977 – , verfasst von der Kustodin Martina Rudloff und mit einer Einführung von Günter Busch, der in Personalunion zugleich Direktor des Marcks-Hauses und der Kunsthalle ist. Ab 1977 wird die Fokussierung auf einen einzigen Bildhauer aufgegeben: Künstler, deren Schaffen in direktem Bezug zu Gerhard Marcks stehen, ergänzen von nun an das Ausstellungsprogramm.

Seit 1981 verwaltet das Gerhard-Marcks-Haus einen Teil des umfangreichen künstlerischen Nachlasses von Marcks: Mit 13.000 Zeichnungen gehört das Museum zu den größten Einkünstlersammlungen weltweit. In den 80er Jahren löst sich das Haus organisatorisch von der Kunsthalle Bremen und erhält im folgenden Jahrzehnt eine eigene Direktorenstelle. Der Stiftungszweck wird erweitert: Der wissenschaftliche Auftrag des Museums ist nun die Erforschung der Bildhauerei im 20. Jahrhundert und die Verortung von Gerhard Marcks darin. Die „Öffnung“ des Museums für andere Künstler schlägt sich auch in weiteren Nachlässen nieder (Waldemar Grzimek, Gerhard Schreiter, Hanna Koschinsky), die das Gerhard-Marcks-Haus als wesentliche Erweiterung für ihre Sammlung erhielt – eine Wertschätzung des Hauses als Zentrum für die Erforschung der Geschichte der Bildhauerei in Deutschland.


Lucia Moholy, Selbstporträt, 1930 : Copyright VG Bild-Kunst Bonn, Bildnachweis: Bauhaus-Archiv Berlin

Über eine Nachlassverwalterin in eigener Sache berichtet Sybille Hoiman in ihrem Beitrag über die Bauhausfotografin Lucia Moholy (1894–1989), deren Nachlass eines der größten und bedeutendsten Konvolute der fotografischen Sammlung im Bauhaus-Archiv bildet. Zeit seines Bestehens pflegte das Bauhaus-Archiv engen Kontakt zu Lucia Moholy und ihrem Testamentsvollstrecker Friedrich Karsten, der für die Verwertung ihres Erbes Sorge zu tragen hatte. Lucia Moholy hatte verfügt, dass die Erträge aus ihrem Nachlass karitativen Organisationen zu Gute kamen. So ist es vor allem der Umsicht Friedrich Karstens zu verdanken, dass nicht nur Fotografien, Negative, fototechnische Geräte, sondern auch Briefe, Werkmanuskripte, Aufsätze und Vorträge dieser ungewöhnlichen Fotografin an den Ort gelangte, wo Lucia Moholys Karriere in einer Art „symbiotischen Arbeitsgemeinschaft“ mit ihrem Mann László Moholy-Nagy ihren Anfang nahm. Ihre Fotografien prägen bis heute die Sicht auf das Bauhaus und gehören längst zu den Klassikern der Fotografiegeschichte.


Über eine – in jeder Hinsicht – Ausnahmeerscheinung des literarischen Lebens in der deutschen Nachkriegszeit berichtet Michael Peter Hehl in seinem Beitrag über den Gründer des Literaturarchivs Sulzbach-Rosenberg Walter Höllerer (1922–2003). Der „Erfinder des Literaturbetriebs“ der 50er und 60er Jahre war selbst Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, vor allem aber ein unermüdlicher Netzwerker, der die Zeitschrift „Akzente“ erfand, das „Institut für Sprache im technischen Zeitalter“ gründete und das „Literarische Colloquium Berlin“ ins Leben rief. Höllerer organisierte zahlreiche kulturelle und literarische Veranstaltungen, insbesondere zur zeitgenössischen Literatur. Schon 1977 gründete er, an die Tradition der Buchdrucker-kunst in seinem Heimatort anknüpfend, das Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, wohin er einen Großteil seines Vorlasses gab. Nach seinem Tod im Jahr 2003 war es seine Frau Renate von Mangoldt, die dem Archiv den gesamten noch vorhandenen Nachlass übergab, den sie mühsam und in jahrelanger Arbeit vorsortiert hatte. Auf diese Weise entstand ein Archiv, das mit seiner Materialfülle nicht nur das Werk Walter Höllerers, sondern auch die Entstehung des Literaturbetriebs in der deutschen Nachkriegszeit der Bundesrepublik dokumentiert.


Die Geschichte von Ronald Searle (1920–2011) und seinem Vorlass, seit Dezember 2011 leider Nachlass, für „Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst“ ist die einer engen Freundschaft zwischen dem britischen Zeichner und dem hannoverschen Museum. Searle, den nach eigener Aussage die Erlebnisse in 4-jähriger Gefangenschaft erst zum Künstler formten, wird in den 1940er Jahren über Nacht berühmt mit seinen Cartoons zu den frechen „Girls of St. Trinian’s“. In den folgenden Jahren zeichnet der Künstler ein facettenreiches Sittenbild der englischen Gesellschaft, seine Zeichnungen erscheinen in Zeitungen wie „The Tatler“ und „Punch“. Als Reportagezeichner bereist er in den 1960er Jahren u.a. Deutschland (für den Süddeutschen Rundfunk) und verfolgt den Eichmann-Prozess in Jerusalem (für die amerikanische Zeitschrift „Life“). Eine Fülle von Illustrationen und politischen Karikaturen – Dokumente seiner Kunst der grafischen Satire, sind in den 1980er/1990er Jahren im „Herald Tribune“ und im „New Yorker“ sowie von 1995–2008 in der französischen Tageszeitung „Le Monde“ erschienen.

Frühe Kontakte zwischen Ronald Searle und dem hannoverschen Museum gibt es bereits in den 1960er Jahren, so berichtet Gisela Vetter-Liebenow in ihrem Beitrag, als Zeichnungen des Künstlers in einer Ausstellung über die satirische englische Zeitung „Punch“ gezeigt werden. Es folgen u.a. Einzelausstellungen (1965/76) und eine große Werkschau im Jahre 1996. Durch die persönlichen Begegnungen wächst das Vertrauen, und so kann das Museum in den 1990er Jahren mit mäzenatischer Hilfe Searle’s Sammlung historischer Karikaturen erwerben sowie seine Bibliothek zu Geschichte und Theorie der Karikatur, ergänzt um eine großzügige Schenkung des Künstlerpaars Ronald und Monica Searle. Als sich 2010 die Möglichkeit bietet, den gesamten Vorlass von Searle – bestehend aus über 2.000 Zeichnungen, die alle Aspekte seines Werkes dokumentieren – zu übernehmen, gelingt das der Stiftung Niedersachsen mit breiter Unterstützung von Bund/Land und weiteren Förderern in Niedersachsen. Und „Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst“, von Ronald Searle als seine geistige Heimat betrachtet, erhält den Vorlass (nunmehr Nachlass) als Dauerleihgabe – reichlich Material für spannende Ausstellungen.

Die Wege, auf denen die vorgestellten Künstlernachlässe in die AsKI-Institute gelangt sind, sind sehr heterogen, ebenso wie der Kontakt zu den Nachlassverwaltern. Mit dem Erwerb des Nachlasses übernehmen die Kultureinrichtungen die Verantwortung, aus der Distanz werden sie jedoch oft noch ein Stück des Weges von den Erben begleitet:

„Voraussetzung für ein gutes Klima zwischen Erben und Archiv ist grundsätzlich, dass beide Seiten ihre Ansprüche und ihre Möglichkeiten respektieren. Das Archiv als Besitzer eines Nachlasses muss bereit sein, in diesen zu investieren und den Aufgaben, die leicht versprochen und manchmal schwer zu leisten sind, auch nachzukommen. Und es muss auf lange Sicht damit rechnen, dass mit einem Nachlass immer individuelle Lebensgeschichten verbunden sind, die mit der Übergabe an ein Archiv nicht von einem zum anderen Tag enden.“

(Zitat von Werner Sudendorf, Autor des Beitrags zu Marlene Dietrich)

Gabriele Weidle / Ulrike Horstenkamp

* Siehe Janovsky, Silke: Du musst es hüten wie ein Wachhund, Berliner Zeitung vom 05.11.2010.


Publikation „Special Delivery. Von Künstlernachlässen und ihren Verwaltern“

Hrsg. von Volkmar Hansen, Ulrike Horstenkamp und Gabriele Weidle
Bonn 2011
ISBN 978-3-930370-28-3
17,80 € (im Geschenkkarton), 14,90 € (ohne Karton)

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Ausstellung

Ende 2012/Anfang 2013 zeigt das Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg e.V. – Literaturhaus Oberpfalz eine begleitende Ausstellung zum Thema.
Präsentiert werden Beispiele aus den Nachlässen von Bertolt Brecht, Marlene Dietrich, Mascha Kaléko, Richard Oelze, Max Reger und Ronald Searle. Die genaue Laufzeit der Ausstellung wird in der nächsten Ausgabe von „KULTUR lebendig“ bekannt gegeben.

AsKI KULTUR lebendig 1/2012

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