AsKI e.V. : Das Museum als Integrationsort. Best-Practice-Projekte in Kultureinrichtungen - AsKI-Fachtagung im Museum für Kommunikation Frankfurt

AsKI-Logo klein

Das Museum als Integrationsort

Nicht erst seit PISA wissen wir, dass Migrantenkinder eine deutliche Benachteiligung durch unser Bildungssystem erfahren.

Dieser Benachteiligung entgegenzuwirken, ist nicht nur ein Gebot der Chancengleichheit, sondern auch Voraussetzung für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Welchen Beitrag aber kann die Kultur in diesem Zusammenhang leisten? Worin besteht der kognitive bzw. emotionale Mehrgewinn in der Begegnung mit Kulturgütern gleich welcher Art? Welche Fähigkeiten und Werte entwickeln wir im Umgang mit kultureller Vielfalt? Wie vermittelt man interkulturelle Kompetenz, d.h. einen konstruktiven Umgang mit und die Wertschätzung von unterschiedlichen Kulturen? Vor allem aber, wie erreicht man diese Zielgruppe? Diesen Fragen nachzugehen, war das erklärte Ziel der Fachtagung, durch die Rainer Ohliger vom "Netzwerk Migration in Europa" souverän führte. 

Einig waren sich alle Teilnehmer von Beginn an, dass Integration eine Querschnittsaufgabe ist, der sich auch die Museen stellen müssen, wenn sie sich als Orte verstehen, wo Wertvorstellungen diskutiert und vermittelt werden. Neben den klassischen Aufgaben- Sammeln, Bewahren, Ausstellen- hat sich das Museum zu einem Kommunikationsort entwickelt, an dem eine Gesellschaft ihre kulturellen Werte reflektieren kann.

In ihrem Einführungsvortrag "Kulturelle Werte oder Kultur als Konflikt" sah Yvonne Leonard (Neues Universum, Kindermuseum Berlin) bei allen gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Definitionshoheit kultureller Werte einen Paradigmenwechsel. In zunehmendem Maße fordern die Migranten der dritten Generation ihre Teilhabe an Bildern und Sprache ein und nicht nur Feridun Zeimoglu und Fatih Akin gehören zu den Repräsentanten dieser Gruppe. Die "Herausbildung von Eliten", so Leonard, "ist immer ein Zeichen von Ankunft und damit auch verbunden die Forderung nach Teilhabe und kultureller Anerkennung." Der Bau der Moschee in Köln durch den Architekten Gottfried Böhm sei dafür ein unübersehbares Zeichen. Darüber hinaus ist in den Museen jene Generation ,am Ruder', die von einer radikalen Pluralität kultureller Wertemuster geprägt ist. Deshalb, so Leonard, werden die Museen anders aussehen, "wenn sie ihre Geschichte wieder einmal umschreiben, damit Texturen eines neuen Wertekanons entstehen, in denen die Migranten ihren Platz finden oder einfach dazugehören." Noch aber gehören ihre Geschichten nicht zum kulturellen Gedächtnis dieser Gesellschaft, nehmen sie nicht teil an dieser Debatte.Damit sich dies in Zukunft ändert, zeigten die nachfolgenden Referenten anhand von Best-Practice-Beispielen, welche Möglichkeiten Kultureinrichtungen haben, Integrationsprozesse voranzutreiben.

Rita Klages vom Nachbarschaftsmuseum Berlin, die auf vielseitige Erfahrungen mit interkulturell ausgerichteten Projekten in Kooperation mit verschiedenen Berliner Museen und im EU-Projekteverbund zurückblicken kann, zeigte auf, wie man von Beginn an die Migranten in die Planung von Projekten miteinbezieht, ihr jeweiliges Lebensumfeld in den Mittelpunkt stellt und Eigeninitiative fordert. Klages veranschaulichte an drei Projekten, wie man Migranten dazu motiviert, ihre eigene Migrationsgeschichte zu thematisieren und sie im Museum darzustellen.

Anknüpfungspunkte sind dabei die jeweilige konkrete Lebenssituation, das urbane Umfeld, die Geschichten von Flucht, Vertreibung, Auswanderung sowie die kulturellen Traditionen des Heimatlandes. In der Begegnung mit den Objekten im Museum, die zu "Medien der Erinnerung" werden können, kam es beispielsweise im Deutschen Technikmuseum über die Auseinandersetzung mit der Technikentwicklung zu Gesprächen über unterschiedliche Produktionsprozesse, technische Entwicklungen, Mobilität und Arbeitsbedingungen, hier und im Heimatland. Der Anknüpfungspunkt Arbeit bot die Möglichkeit, Migranten als Akteure zu gewinnen, neue Vermittlungsstrategien zu entwickeln, Schnittstellen in den Communities zu schaffen und damit letztlich neue Besuchergruppen zu erreichen. Gezielt wurden Migrantenorganisationen, Gewerkschaften, Einrichtungen aus dem soziokulturellen Bereich angesprochen. Migranten wurden zu "Experten" ausgebildet, die ihren Landsleuten und anderen Museumsbesuchern das Museum nahebringen sollten. In gemeinsamen Teams aus Migranten und Besucherbetreuern des Museums wurden sie auf diese Aufgabe vorbereitet. Zugleich erhielten sie im Rahmen von interkulturellen Tagen die Gelegenheit, spezielle Techniken aus ihren Heimatländern zu präsentieren. Aus dieser Zusammenarbeit entstanden Kontakte, die nachwirkten. Um die Nachhaltigkeit der Projektergebnisse zu sichern, gründeten der Verein Nachbarschaftsmuseum e.V., das Museum Europäischer Kulturen, das Deutsche Technikmuseum Berlin und der Museumspädagogische Dienst die Berliner Plattform.

Auf langjährige Erfahrungen in der Arbeit mit Migranten blickt auch Thomas Brehm, Leiter des Kunst- und Kulturpädagogischen Zentrums der Museen in Nürnberg (KPZ), zurück. Seit zehn Jahren besteht das Angebot für sog. Übergangsklassen, Kindern aus Migrationsfamilien die notwendigen deutschen Sprachkenntnisse zu vermitteln und sie so auf den normalen Schulunterricht vorzubereiten. Zur Zeit gibt es drei Veranstaltungsreihen, die neben der Auseinandersetzung mit einer fremden Kultur, in der die Migranten voraussichtlich dauerhaft leben werden, auch ein Stück praktische Lebenshilfe vermitteln. Sprachvermögen und gestalterische Fähigkeiten werden gleichermaßen gefördert. Daneben bietet das KPZ auch Führungen in deutscher Sprache mit russischen und türkischen Muttersprachlern an, um mögliche Sprachbarrieren von vornherein zu vermeiden. Ein weiteres Projekt entstand in Zusammenarbeit mit den "Südstadtkids", Jugendlichen einer Nürnberger Hauptschule in einem sozialen Brennpunkt. Die multinationale Schülergruppe erarbeitete vier Sonderführungen durch die Ausstellung "Was ist deutsch?" mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Resonanz sowohl der Besucher als auch der beteiligten Schüler war so positiv, dass die Schüler nun unter dem Motto "Kaufhaus Germania" Vermittlungsangebote speziell für Jugendliche entwickeln, um ihnen das Germanische Nationalmuseum näher zu bringen. Das Museum als Ort sinnvoller Freizeitbeschäftigung erfahrbar zu machen, ist ein wesentliches museumspädagogisches Ziel, das bei den Südstadtkids erreicht wurde. Ein weiteres Projekt, das derzeit entwickelt wird, sind Gesprächsführungen für Erwachsene, die einen intellektuellen und emotionalen Zugang zu verschiedenen religiösen Denkweisen ermöglichen sollen. Dies kann ein weiterer Schritt auf dem Weg sein, den interkulturellen Dialog mit den Migranten im Museum zu führen. Denn, so Brehm, wenn Migranten als Besucher ins Museum kommen sollen, dann müssen sie sich auch dort wiederfinden. Dazu gehören letztlich auch Zeugnisse der Migrationsbewegung, die in den Museen noch so gut wie gar nicht zu finden sind. Gerade das Museum schaffe für den inter-kulturellen Dialog einen besonderen Rahmen, biete es doch einen geschützten Raum, in dem man sich auf vielfältige Weise mit dem Eigenen und dem Fremden auseinandersetzen kann: "Selbstvergewisserung und Neugier sind ja geradezu Schlüsselreize, die einen Museumsbesuch attraktiv machen."

Der ästhetische Raum ,Museum' , in dem die fremde Kultur in erster Linie sinnlich erlebt wird und Fragen aufwirft, schaffe geradezu ein Bedürfnis nach Mitteilung, so Ulrike von Gemmingen, das es zu nutzen gilt. Seit über 20 Jahren ist die "Museumswerkstatt im fremden Land" ein fester Bestandteil der Münchener Volkshochschule, die in Kooperation mit verschiedenen Münchener Museen Projekte durchführt, die das Erlernen der Sprache mit sinnlichen Eindrücken verknüpfen. Seit 1995 gibt es das Projekt "Deutsch lernen im Museum"- ein Sprachlernmodell, das die Erfahrungen aus der Museumswerkstatt systematisch aufgreift und begleitend zum Sprachunterricht an den Schulen und in Deutschintensivkursen stattfindet. Weil die "Museumswerkstatt" im Jahr 2004 beinahe dem Sparzwang zum Opfer gefallen wäre, entwarf Ulrike von Gemmingen ein Modellprojekt für ein ehrenamtliches Engagement. In Kooperation mit der Freiwilligenagentur "Tatendrang" und der Initiative Lichterkette e.V. werden nun Ehrenamtliche für die interkulturelle Museumswerkstatt ausgebildet, die mit großer Begeisterung den Teilnehmern während des Museumsbesuches einen unbefangenen und emotionalen Zugang zur deutschen Sprache vermitteln.

Abschließend stellte Petra Zwaka das Jugendmuseum Schöneberg, Berlin, in seiner Funktion als Mittler zwischen den Kulturen vor. Im Mittelpunkt dieses experimentierfreudigen Geschichtsmuseums für junge Menschen steht ebenfalls das Handson-Prinzip, die Lust am Entdecken, das Lernen aus Erfahrung. Junge Menschen sollen hier in der Auseinandersetzung mit Geschichte im Museum und in ihrer aktuellen Umgebung zu einem Verständnis ihrer selbst und ihrer Umwelt befähigt werden, um sie aktiv mitzugestalten. Als Reaktion auf den zunehmenden Fremdenhass in den1990er Jahren begann man zu dieser Zeit, mit der Methode der offenen Theaterarbeit das Nebeneinander von Menschen verschiedener Herkunft und kultureller Identität zu thematisieren. Die Kinder übernehmen Rollen historischer Figuren, müssen selbständig Entscheidungen treffen in Interaktion mit Konfrontationsfiguren, die historische Machtverhältnisse und Handlungsmöglichkeiten verkörpern. Die Ergebnisse und positiven Erfahrungen aus dieser Arbeit bildeten den Grundstein für das Jugend Museum, das, 1994 ins Leben gerufen, den veränderten Lebenssituationen von Kindern und Jugendlichen Rechnung tragen sollte. Nicht nur soziale, sondern auch kulturelle Hintergründe spielten eine zunehmende Rolle, da ein Großteil der Schulklassen aus Migrantenkindern bestand. In Kooperation mit Schöneberger Grund- und Hauptschulen und einer Jugendfreizeiteinrichtung wurde das Projekt "revier im visier" ins Leben gerufen. 400 Jugendliche erforschten in 10 Workshops mit großem Engagement ihr Lebensumfeld, betrieben Feldforschung in eigener Sache, recherchierten mit Mikrofon und Kamera, entwarfen Spielszenen und Tanzchoreografien, sammelten Alltägliches und Nichtalltägliches. Stolz präsentierten die Kinder und Jugendlichen ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit im Museum und in ihrem Viertel. Für alle Beteiligten ergaben sich neue Perspektiven, die das verständnisvolle Umgehen miteinander förderten. Diesem Ziel näherte man sich mit einem weiteren Projekt, der "Villa Global": Im Museum wurde eine Wohnsituation inszeniert, in der die Bewohner aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen. Mit markanten Alltagsobjekten, kulturhistorischen Exponaten und Bild- und Tondokumenten wurden Räume inszeniert, in denen Familien- und Lebensgeschichten aus ganz verschiedenen Kulturkreisen erzählt werden. Entstanden sind hier keine Musterwohnungen, sondern ganz individuelle Migrationsgeschichten, die zum Dialog, zum Erfahrungsaustausch auffordern. Auch Tabuthemen- wie der neue Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen- müssen aufgegriffen werden. Auseinandersetzungen mit diesen Themen sind für die Museumspädagogen eine besondere Herausforderung, aber unverzichtbar, wenn man den Jugendlichen eine kritische Haltung gegenüber der eigenen Kultur vermitteln und sie in die Lage versetzen will, die Sichtweise des anderen einzunehmen. In dem dritten vorgestellten Projekt ging es um das Thema "Identitätsbildung durch Geschichte". Die Ausstellung "time zero? 2005/1945" schuf den Rahmen für eine aktuelle Diskussion über Krieg und Frieden. In der Auseinandersetzung mit der Situation des kriegszerstörten Berlin 1945 gelang es, Jugendliche- häufig erstmals- dazu zu bringen, über ihre z.T. traumatischen Kriegserlebnisse in ihren Heimatländern zu sprechen. Als ein historisches Museum sieht sich das Jugendmuseum vor besondere Herausforderungen gestellt, was die identitätsstiftende Funktion von Geschichtsvermittlung betrifft. "Jugendliche MigrantInnen in der Bundesrepublik müssen sich mit fremder, entliehener Geschichte," so Zwaka, "etwa dem Nationalsozialismus und dem Holocaust als historischem Erbe ihres Einwanderungslandes, auseinandersetzen."

Schon heute hat in Deutschland jeder dritte junge Mensch unter 25 Jahren einen Migrationshintergrund. Gezielte Angebote, insbesondere für Stadtteile mit hohem Zuwandereranteil, sind das Gebot der Stunde, lautete das Fazit der TeilnehmerInnnen, auch und gerade von Seiten der Kultur, wenn man die gesellschaftliche Querschnittsaufgabe Integration als solche begreift. Klar ist aber auch: Museumspädagogen sind keine Sozialarbeiter. Nur wenn Migranten im Museum auch ,vorkommen', sie in die Planungen von Projekten miteinbezogen werden, kann das Museum auch als ein Kommunikations- und Identifikationsort erlebt werden.Führung durch die Ausstellung <Globalisierung 2.0> im Museum für Kommunikation Frankfurt, © Ulrike Horstenkamp, Bonn

Zum Abschluss gab es eine Führung durch die Ausstellung "Globalisierung 2.0", die zu diesem Zeitpunkt im Museum für Kommunikation gezeigt wurde. Die gelungene und lebendige Führung übernahm ein Deutscher polnischer Herkunft …

Ulrike Horstenkamp

AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 2/2007

.

xxnoxx_zaehler