25 Jahre Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg

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Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, Foto: LSR

Das im November 1977 von Walter Höllerer in seiner Geburtsstadt gegründete Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen.

Zu Beginn einer Reihe von Veranstaltungen wird vom 5.-7. Juli 2002 ein literarisches Sommerwochenende stattfinden, das mit mehreren Autorenlesungen und einer Ausstellung weiterhin den Intentionen des Archivgründers folgt, die jeweils aktuelle Literatur zu vermitteln und zu diskutieren, nach ihrem Umfeld zu fragen und Autoren und Leser miteinander ins produktive Gespräch zu bringen. Dieses Wochenende wird von einem Festakt mit Staatsminister Hans Zehetmair begleitet und von Musik und bildender Kunst umrahmt.

Ingeborg Bachmann-Ausstellung "Ein Spiegel will uns die Gründe zeigen"

Ingeborg Bachmann, © Foto: Renate von Mangoldt, BerlinMit einer Sonderausstellung zu Leben und Werk Ingeborg Bachmanns (1926-1973) widmet sich das Literaturarchiv der jüngeren Literaturgeschichte, die auch in den Sammlungen des Archivs präsent ist. Die Ausstellung "Ein Spiegel will uns die Gründe zeigen" mit bisher unveröffentlichten Fotografien von Baldi Schwarze ist aus dem umfangreichen Bestand von Christine Koschel und Inge von Weidenbaum zusammengestellt, die die Werkausgabe Ingeborg Bachmanns betreuten und mit ihr befreundet waren. Zu sehen sind Handschriften, Skizzen, Entwürfe und Bücher. Im Bestand des Literaturarchivs befinden sich Briefe Ingeborg Bachmanns aus der Zeit ihrer Beiträge für die Literaturzeitschrift "Akzente".

Die Ausstellung wird am Freitag, 5. Juli 2002, eröffnet und ist bis zum 18. Oktober 2002 im Literaturarchiv zu sehen.


Die gestundete Zeit

Es kommen härtere Tage. Die auf Widerruf gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont. Bald mußt du den Schuh schnüren und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe. Denn die Eingeweide der Fische sind kalt geworden im Wind. Ärmlich brennt das Licht der Lupinen. Dein Blick spurt im Nebel: die auf Widerruf gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont.

Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand, er steigt um ihr wehendes Haar, er fällt ihr ins Wort, er befiehlt ihr zu schweigen, er findet sie sterblich und willig dem Abschied nach jeder Umarmung.

Sieh dich nicht um. Schnür deinen Schuh. Jag die Hunde zurück. Wirf die Fische ins Meer. Lösch die Lupinen!

Es kommen härtere Tage.

 

Ingeborg Bachmann

In: Ingeborg Bachmann, Werke Bd. I, Gedichte, Hörspiele, Libretti, Übersetzungen Piper-Verlag 1978 (Neuausgabe 1993)

"Chronik, Spiegel, Poesie - Literatur als Mitschrift der Zeit"

Unter diesem Thema werden am Wochenende des 6./7. Juli 2002 Eva Demski, die auch schon bei der Gründung des Literaturarchivs dabei war, und die Autoren Marcel Beyer, Durs Grünbein, Michael Hofmann und Thomas Lehr zu Lesungen und einem gemeinsamen Gespräch ins Literaturarchiv kommen.

Die Romane von Eva Demski, geb. 1944, können auch als Chroniken der Bundesrepublik gelesen werden: "Afra" (1992) greift die unmittelbare Nachkriegszeit auf, "Scheintod" (1984) setzt sich mit der RAF-Zeit auseinander. Marcel Beyer, geb. 1965, führt in seinem Roman "Flughunde" (1995) das Dritte Reich als akustischen Alptraum vor und beleuchtet mit "Spione" (2000) das Ende der 70er Jahre. Beyers neuer Lyrikband "Erdkunde" (2002) spiegelt dagegen seine unmittelbar gegenwärtigen Erfahrungen im Osten Europas. Der Lyriker Michael Hofmann, geb. 1957, Sohn des Schriftstellers Gert Hofmann, schreibt seine Texte in englischer Sprache, Beyer hat sie ins Deutsche übertragen. Hofmanns "Feineinstellungen", so der Titel des 2001 erschienenen Gedichtbandes, schärfen die täglichen Wahrnehmungen. "Hochauflösende Visionen moderner Wirklichkeit" nannte Joseph Brodsky die so entstandenen Gedichte Michael Hofmanns. Thomas Lehr, geb. 1957, ist vor allem mit dem Roman "Nabokovs Katze" (1999) bekannt geworden, der auch als Mentalitätsgeschichte der Nach-68er-Generation gelesen werden kann. Der Büchnerpreisträger Durs Grünbein, geb. 1962, hat in seinem Prosaband "Das erste Jahr" (2001) auf sehr persönliche Weise auf den Jahrtausendwechsel reagiert. In seinem neuen Lyrikband "Erklärte Nacht" (2002) erkundet er die Möglichkeiten des Individuums innerhalb der Grenzen seiner eigenen Lebenszeit.

In Prosa und Lyrik werden die Autoren ihre ganz unterschiedlichen "Mitschriften der Zeit" vorstellen. Dabei wird es auch um die Frage des Selbstverständnisses der Autoren gehen und um den Ort der Literatur zwischen kritischem Engagement und Lesevergnügen.

Marieluise Fleißer-Ausstellung "In die Enge geht alles"

Marieluise Fleißer, © Foto: Nachlass  Marieluise Fleißer, Ingolstadt (Fotos 1946-1950)' "In die Enge geht alles" - Marieluise Fleißers Schreiben in schwierigen Zeiten' lautet der Titel einer Sonderausstellung, die im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg am Dienstag, 14. Mai 2002, eröffnet wird. Trotz ihrer Erfolge als junge Schriftstellerin und Theaterautorin in den zwanziger Jahren zog sich Marieluise Fleißer (1901-1974) in ihre Heimatstadt Ingolstadt zurück. Nach ihrem Roman "Mehlreisende Frieda Geier. Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen", 1931, veröffentlichte sie lange Zeit nichts mehr. Erst 1963 erschien im Carl Hanser Verlag der Erzählungsband "Avantgarde".

Die Ausstellung im Literaturarchiv wird sich auf diesen biographischen Abschnitt, d. h. die Zeit des "Rückzugs" konzentrieren. Anhand von Dokumenten aus eigenen Beständen und Leihgaben aus dem Fleißer-Archiv der Stadt Ingolstadt soll diese für die Autorin in verschiedener Hinsicht schwierige Schaffensphase und -krise beleuchtet werden. Vor ihrer Heirat 1935 gab es eine Episode, die Marieluise Fleißer in ihrer selbstverfassten Biographie unerwähnt ließ: die Verbindung mit dem fränkischen Lehrer Georg Hetzelein (1903-2001), dem sie 1934 zahlreiche Briefe schrieb. Die Originale übergab Hetzelein 1987 dem Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg. Der Zeichner Hetzelein antwortete ihr mit erotischen Bildbriefen. Sie schickte Hetzelein auch drei Novellen in Typoskriptfassung: "Die Lawine" , erschienen unter dem Titel "Schlagschatten Kleist", "Balder und Sylphide" und "Zwerg Auge". Sie wurden später teilweise in überarbeiteten Fassungen veröffentlicht. Die Typoskripte befinden sich ebenfalls im Bestand des Literaturarchivs.

Brief von Marieluise Fleißer an Georg Hetzelein am 30.10.1934 © Foto: Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg

Zur Eröffnung der Ausstellung liest Kerstin Specht aus der Monolog-Fassung ihres Theaterstücks "Marieluise". Das Stück entstand als Auftragsarbeit der Stadt Ingolstadt anlässlich von Marieluise Fleißers 100. Geburtstag im November 2001. In Erinnerungsfetzen, Traumsequenzen und Gedankensplittern erzählt die Figur Marieluise von ihren Lebensstationen. Am Ende kommt sie wieder in der Provinz an, aus der sie einst ausgebrochen ist: "Ich bin einen großen Bogen gelaufen/ um zu sehen/ daß die Weite/ überall nur einen engen Winkel/ für mich bereit hält." Geb. 1956 in Kronach, studierte Kerstin Specht nach ihrem Germanistik- und Theologiestudium an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen. Mit den Uraufführungen ihrer drei Stücke "Lila", "Das glühend Männla" und "Amiwiesen" war sie 1990 Deutschlands erfolgreichste Nachwuchsautorin und zeigt sich mit diesen bösen Volksstücken als eine Enkelin der Fleißer.

Die Ausstellung ist vom 14.-26 Juni 2002 im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg zu sehen.

Dr. Barbara Baumann-Eisenack,
wissenschaftliche Leiterin, Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg
Patricia Preuß M.A.,
 wissenschaftliche Mitarbeiterin, Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg

AsKI KULTURBERICHTE 1/2002

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