2002 - Jubiläen im AsKI: 150 Jahre Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg III

1945 musste Kohlhausen sein Amt in Nürnberg aufgeben, wurde jedoch bald darauf Direktor des Museums auf der Veste Coburg. Anbiederung an den Nationalsozialismus wird man ihm weitaus weniger vorwerfen können als vielen, die nach 1945 in ihren Ämtern blieben. Erneut wurde ein junger Kunsthistoriker zum Direktor des Museums gewählt: Ernst Troche, bei Amtsantritt 36 Jahre alt. Nutzbarmachung beschädigter Räume und erste kleine Ausstellungen gehörten in dieser wohl schwierigsten Zeit des Museums zu seinen wesentlichen Aufgaben.

Als herausragend sollte sich der 1949 neu gewählte Verwaltungsratsvorsitzende erweisen: Prof. Dr. Theodor Heuss, bald darauf erster Bundespräsident, der das Ehrenamt in Nürnberg als Einziges in den folgenden zehn Jahren beibehielt und sich außerordentlich für das Museum engagierte. 1952 wurde Ludwig Grote zum Direktor ernannt. Im Jahre 1958 begann die Reihe von Museumsneubauten, mit denen die schweren Verluste ausgeglichen werden sollten, die der Krieg, aber auch die Abrisswut in der Nachkriegszeit verursacht hatten. Abgeschlossen wurde die umfassende Wiederaufbauphase erst Mitte der 70er Jahre.

Von nachhaltiger Bedeutung sollte sich eine inhaltliche Änderung erweisen, die Ludwig Grote stillschweigend eingeführt hatte: In jungen Berufsjahren selber mit dem Dessauer Bauhaus in Berührung gekommen, erweiterte er das Sammlungskonzept um den Bereich der aktuellen Kunst, mit der das Museum nunmehr Kulturgeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart dokumentiert. Gerade durch diesen kulturgeschichtlichen Ansatz des Museums zeichnet sich die Sammlung aus, werden hier doch Malerei und Skulptur in direkter Konfrontation mit Gebrauchsgegenständen und Design gezeigt. Zudem wird die Sammeltätigkeit nicht auf die "Westkunst" beschränkt, so dass die aktuelle Kunst und Kultur im Germanischen Nationalmuseum das wiedervereinigte Deutschland umfassender repräsentiert als dies in irgendeiner der klassischen Sammlungen zur Moderne geschieht. Einen wichtigen Impuls sollte Mitte der sechziger Jahre die Gründung des Archivs für Bildende Kunst geben. Das Archiv vereinigt inzwischen mehr als 1200 Nachlässe und schriftliche Aktenbestände zu Künstlern, Kunst- und Kulturwissenschaftlern sowie wissenschaftlichen Vereinigungen im deutschsprachigen Raum und kann als Gegenstück zur entsprechenden literarischen Sammlung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach angesehen werden.

Albrecht Dürer: Bildnis des Malers Michael Wolgemut, Nürnberg 1516, Gemälde auf Holz, Leihgabe der Bayer. Staatsgemäldesammlung, © Foto: J. Musolf / Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

Galten die 60er und 70er Jahre des Museums unter den Generaldirektoren Erich Steingräber und Arno Schönberger der Vollendung des Wiederaufbaus und der Konsolidierung der Sammlung im eben beschriebenen Sinne, so kam es unter Gerhard Bott in den 80er Jahren zu einer bedeutenden baulichen Ergänzung. Mit einem neuen glasüberkuppelten Eingangsbau an der Westseite erhielt das Museum einen der größten Erweiterungsbauten der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik, gestaltet von der Architektengruppe ME DI UM (Störmer + Weiß). Dieser Bau bezieht die angrenzende Kartäusergasse in das Museumskonzept mit ein durch das wichtigste moderne Kunstwerk des Germanischen Nationalmuseums: "Die Straße der Menschenrechte" von Dani Karavan (1993). In demselben Jahr unter dem Verwaltungsratsvorsitzenden Bundespräsident a. D. Walter Scheel und Generaldirektor Gerhard Bott eingeweiht, konnte der Neubau jedoch erst 1996 vollendet werden.

Wenn die Depotflächen der Sammlungen heute bereits wieder ausgeschöpft sind, liegt dies nicht zuletzt an einer der herausragenden Neuerwerbungen der 80er Jahre: Die 1867 gegründete Sammlung der Bayerischen Landesgewerbeanstalt - eine der traditionsreichsten kunstgewerblichen Sammlungen des 19. Jahrhunderts und bis in die jüngste Gegenwart fortgeführt - gelangte als Dauerleihgabe in das Germanische Nationalmuseum. Damit konnte die Sammlung um einen wichtigen Bestand ostasiatischer Werke erweitert werden.

Die Jahre ab 1970 waren eine Phase viel beachteter Großausstellungen, für die zwanzig Jahre lang Finanzmittel schier unbegrenzt zur Verfügung standen. Von höchster Bedeutung waren die Dürer-Ausstellung 1971 und die Luther-Ausstellung 1983, die Ausstellung der Sammlung Thyssen-Bornemisza 1986 und Juden in Bayern 1988, die umfassende Präsentation der Sammlung Peter und Irene Ludwig (LudwigsLust) 1993. Ausstellungen dieser Größenordnung werden künftig zunehmend seltener werden, da die Gefährdung der Objekte groß ist, zudem die Mittel auf absehbare Zeit geringer werden.

Im Jubiläumsjahr 2002 - 150 Jahre Germanisches Nationalmuseum - und darüber hinaus besteht die Hauptaufgabe der nächsten Jahre in der Erneuerung der Dauerausstellung. Daneben soll auch die Vermittlung aktueller Forschungsergebnisse eine herausragende Rolle spielen - innerhalb des deutschen Museumswesens betreibt das Germanische Nationalmuseum in besonderem Maße Grundlagenforschung. Mehr als zwanzig Jahre nach Abschluss der Wiederaufbauphase sind sowohl eine bauliche Sanierung als auch eine konzeptionelle Umstrukturierung erforderlich: Beide können angesichts der Größe des Museums und des Bemühens, die wesentlichen Abteilungen geöffnet zu halten, nur schrittweise erfolgen. Grundlegend ist dabei die Erschließung von Sammlungsbereichen, die gegenwärtig vollständig im Depot ruhen müssen. Namentlich die Sammlungen zum 19. Jahrhundert und zur mittelalterlichen Kunst sowie zu den Textilien, besonders der bäuerlichen Kleidung, sollen in den nächsten Jahren eine neue Aufstellung finden.

Im wiedervereinigten Deutschland kann das Germanische Nationalmuseum zu Beginn des dritten Jahrtausends seine Rolle als das deutsche Nationalmuseum verwirklichen: Präsentation und Erforschung der Kultur im deutschsprachigen Raum von der Vorgeschichte bis zur Gegenwart mit der größten Sammlung dieser Art in Deutschland. Vergleichbar den Landesmuseen auf Bundesländerebene, vertritt das Nationalmuseum den gesamtstaatlichen Rahmen und, aufgrund der deutschen Geschichte, teilweise auch über die Grenzen der heutigen Bundesrepublik hinaus. Wie zu Hans von Aufseß' Zeiten steht es nicht für einen Staat und gegen andere, sondern für einen mitteleuropäischen Kulturraum im gesamteuropäischen Kontext.

Prof. Dr. G. Ulrich Großmann
Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg

 

AsKI KULTURBERICHTE 2/2002

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